Doris von Drathen
Narmine Sadeg
Galerie Giovanna Minelli, Paris, 23.6. – 23.7.1990
Das Denkmal, das neben der Landstraße steht, ist einen Meter hoch. Dieselbe Entfernung trennt es vom Meer und von der Mauer, die eben diese Landstraße weiterführt.””Das Denkmal Nr.2, das beliebteste, ist 85 Zentimeter hoch.””Das Denkmal Nr.3 ist genau in der Mitte eines Grabens gebaut.””Das Denkmal Nr.4, 90 Zentimeter hoch, ist von Bäumen umgeben.”
Diese Sätze stehen unter Schattenbildern, die vage auf leicht öligem Papier durchscheinen, aus schattigem Licht hervortreten und davon gleichzeitig verschluckt werden. Die konischen Formen nehmen tatsächlich Bezug auf große Behältnisse aus poliertem dunkelgrauem Zement, die auf dem Boden stehen und liegen; der Bezug ist aber längst nicht so eindeutig, wie die numerierende und beschreibende Bezeichnung der einzelnen “Denkmäler” (das erste hat keine Nummer) vorgibt.
Die “Monuments” der in Paris lebenden Bildhauerin Narmine Sadeg sind archaische Vasen, die sie in der antiken Tradition eines Gefäßes nutzt, nämlich als Gefäß, das nicht nur Lebensmittel, sondern auch Geschichte aufbewahren kann. Anstatt einer Papyrusrolle mit aufgeschriebener Geschichte bewahrt Sadeg alltägliche, konkrete Dinge: ein Glas, eine Schale, eine Kette, reproduziert aus demselben Zementmaterial wie die großen Gefäße, aber unpoliert.
Zu jedem Gefäß gehört ein Zettelkasten, der genaue Beschreibungen eines Gegenstandes liefert. Beschrieben werden allerdings etwa alle möglichen Gläser, alle möglichen Formen, Lichtreflexe, Trinkgewohnheiten; die Beschreibungen werden begleitet von Bleistiftzeichnungen, die wiederum mit den Texten nur das Zeichen eines Glases gemein haben.
Narmine Sadeg nähert sich den Dingen, indem sie darin den Prototyp sucht, das menschliche Accessoire, von dem Mallarmé sprach, ohne jedoch ein reales Objekt zu…