Matthias Reichelt
Nan Goldin. Poste Restante
»Ein Hauch von Vanitas«
C|O Berlin, 10.10. – 6.12.2009
Würde man die Fotos der 1953 in Boston geborenen Nan Goldin als Schnappschüsse bezeichnen, wäre sie keineswegs verärgert. Als bekannteste Vertreterin der sogenannten Boston School mit ihrem autobiografischen Ansatz schrieb sie Fotografiegeschichte. Für ihre eindringliche Ton-Dia-Schau „Die Ballade der sexuellen Hörigkeit“, die jetzt im Zentrum der Berliner Ausstellung steht, erhielt Nan Goldin die ungeteilte Anerkennung des internationalen Kunstbetriebs. Mit dieser Arbeit lieferte die 1986 gerade 33-Jährige das zentrale und stilbildende Werk ihres bisherigen Ouvre.
Unter dem sinnfälligen Titel „Poste Restante“ zeigt die engagierte Fotogalerie C|O Berlin im ehemaligen Postfuhramt eine Retrospektive von Nan Goldins Ton-Dia-Schauen neben einigen wenigen großformatigen Abzügen, auf denen jeweils bis zu 16 Motive abgebildet sind.
Der Titel „Postlagernd“ verweist nicht nur auf die frühere Funktion des Ortes sondern auch auf den historischen Charakter der in der Ausstellung zu sehenden Werke. Denn alle thematisieren eine abgeschlossene kurze Ära in den siebziger und achtziger Jahren. Im Zentrum der Ausstellung steht die ca. 45-minütige Serie von über 700 Aufnahmen unter dem von Brecht entlehnten Titel aus der Dreigroschenoper. Im großen abgedunkelten Saal folgt das zahlreiche Publikum auf Sitz- und Liegekissen der melancholischen Rückschau vergangener Leben und Lieben. Zu Songs von Eartha Kitt, Velvet Underground, Charles Aznavour und vielen anderen mehr werden in raschem Wechsel die Bilder einer subkulturellen Boheme in Boston, New York und Berlin Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre gezeigt. Parties, Drogen und schrille Selbstinszenierungen sind die Bestandteile des intensiven und ausschweifenden Lebens, das…