Doris von Drathen
Nalini Malani
»Splitting the Other«
Musée cantonal des Beaux-Arts, Lausanne, 20.3 – 6.6.2010
Ecoute!“ (Höre) ist auf die Wand geschrieben. In der Sprechblase eines Hundegerippes redet das Wort uns an. Allerdings wird es gemimt von Fingerzeichen. Wir werden also in Taubstummensprache begrüßt. Ganz so, als wären wir verstockt wie jene Trojaner, die von den Prophezeiungen der Kassandra nichts hören wollten. Ihr vernichtender Ausruf steht menetekelartig auf der gegenüberliegenden Wand – allem Unglauben zum Trotz werde keins ihrer Worte unerfüllt bleiben. Während wir im ouvertüreartig angelegten Eingangsraum der Ausstellung noch versuchen, uns in den großen Wandzeichnungen zurechtzufinden, die beiden Frauengestalten entdeckend, aus deren Händen Nabelschnüre wachsen, die ihrerseits frei schwebende Gehirne und eine knotige Schlingpflanze nähren, deren Knollen nun wiederum schwarz rauchend aufplatzen und eben jenes sprechende Hundegrippe hervorbringen, sind wir, ohne daß wir uns versehen, schon mitten im Bilde. Nämlich in der Endlosnarration der indischen Künstlerin Nalini Malani, die auf der Biennale von Venedig 2007 mit ihrem 14teiligen Tafelbild „Splitting the Other“ in Europa bekannt wurde, im gleichen Jahr in Dublin mit einer großen Ausstellung hervortrat und nun in Lausanne einen 15jährigen Werkrückblick zeigt. Im Zentrum dieser großen Retrospektive, die Zeichnungen, Malerei, Videoinstallationen, theaterartige skulpturale Rauminszenierungen und Schattenspiele umfaßt, steht die Figur der Kassandra als Ikone nicht nur der indischen, sondern aller Frauen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Malani wurde geboren im Jahr der Unabhängigkeitserklärung Indiens und lebt noch heute in Mombay. Sie hat die Teilung Indiens und Pakistans, die Schäden der Kolonisierung und die postkoloniale Identitätssuche hautnah…