Nachkunst
Metamorphosen des Werkbegriffs in kuratierter und politischer Kunst der Gegenwart
von Wolfgang Ullrich
Homogenität und „déformation professionelle“ kuratierter Kunst
Es gibt mehr Ausstellungen denn je, es gibt so viele Kuratoren wie noch nie und kaum ein Bereich ist bereits so stark globalisiert wie die bildende Kunst. Doch hat das nicht zu mehr Vielfalt und Formen von Pluralismus geführt. Im Gegenteil wurde ein weiterer Superlativ spätestens seit dem „Superkunstjahr 2017“ wiederholt beklagt: Die Kunstwelt war nie so homogen oder, wie es der Kritiker Stefan Heidenreich formulierte, sei nie so sehr wie heutzutage darauf aus gewesen, „den politischen Konsens zu bedienen“, weshalb „wir Großausstellung um Großausstellung voller Kunst sehen, die sich mit Immigranten, mit Randgruppen, mit prekären Lebensumständen, mit Geschlechterverhältnissen, mit unterdrückten Völkern und Umweltproblemen beschäftigt“.1 Heidenreich zeichnet daher ein sehr negatives Bild von Kuratoren und fordert gar deren Abschaffung. Dabei müsste zuerst gefragt werden, warum sie in den letzten Jahrzehnten überhaupt so mächtig werden konnten, nachdem der Kunstbetrieb die längste Zeit ohne sie ausgekommen war. Eine Antwort auf diese Frage setzt wiederum voraus, die Rolle der Kuratoren sowie die von ihnen begünstigte Kunst etwas genauer in den Blick zu nehmen.
Die Gatekeeper-Funktion, die Kuratoren einnehmen, sofern sie für die Auswahl des Ausgestellten verantwortlich sind, können sie in zumindest doppelter Hinsicht erfüllen. Zum einen bezeugen Kuratoren Kennerschaft sowie hohe Ansprüche mit eindeutig hochkulturell codierter Kunst. Das begünstigt konzeptuelle, anspielungsreiche, schwer zugängliche Werke, die sich auch nachträglich noch mit Bedeutung aufladen lassen. Zum anderen wählen Kuratoren Kunst danach aus, dass…