Georg Jappe
Muß Kunst verständlich sein?
‘Die Ausgeburt von Kunst vollzieht sich nun seit Wochen vor den Augen mein, ach könnt ich doch heben nur ein Bein, in das Loch würde ich die armen Irren treten,
sie kämen nichtmal mehr zum Beten,
1000 Meter tief in’s Loch sollte man sie schmeißen,
drauf könnte dann der ‘Brave Bürger’ schöne Blumen legen.’
Die Tafel faschistischer Volkspoesie stand ein paar Stunden gelehnt an den Sockel von Fredericus II. von Hessen, dem Bohrgerüst von Kassel gegenüber. Unterschriften werden gesammelt unter dem Slogan: ‘Es gibt schönere Löcher!’ Vorsätzliche Brandstiftung im Fridericianum, ‘dieser Stoff brennt nur durch Präparierung’, versichert der Feuerwehrhauptmann. Statt sich in die spiegelnde Schwärze eines 01-brunnens zu versenken, bis zum physischen Tiefenrausch, werfen einige Leute Papierschiffchen darauf, tauchen ihre Hände hinein und klatschen sie dann an die Wand. ‘Verarschung der Werktätigen’ brüllt jemand die leeren Bilder an, die auf die Ungeduld unserer abgestumpften Augen aufmerksam machen wollen.
Größer geworden ist zwar die Zahl derer, die sich auf die Werke einlassen und sie eingehend studieren, und was ein Zuschauer spöttisch zur Vorführung eines Künstlers, der angekettet immer im Kreis lief, sagte: ‘wenn ich hier ‘ne Stunde steh, glaub ich da auch dran’, ist durchaus richtig, wenn man’s ernst meint. Und besonders die Kinder haben Spaß an dieser documenta, da gibt es zu klettern, zu plantschen, zu entdecken, ‘guck mal, da wohnt die documenta-Königin’, zeigt ein kleiner Junge auf eine winzige Ritterburg, die aus dem Gemäuer hervorkommt wie ein Pilz. Kinder fragen nicht: was soll’s? Sie sind der…