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Titel: Müllkunst · von Paolo Bianchi · S. 32 - 33
Titel: Müllkunst , 2004

MÜLLKUNST

HERAUSGEGEBEN VON PAOLO BIANCHI

Müll ist das Gegenstück zur Kunst. An den Rändern des Lebens, irgendwo zwischen Dunkelheit und Licht, ist alles zu finden: der Müll, die Kunst und – das Lebensglück. Die Müllhalde ist ein Schattengarten. Der Müll spricht zu uns als Schatten der Kunst: anarchistisch, erotisch, obsessiv, zweckfrei und absichtslos. In der Müllkunst ist es die atmosphärische Schwingung zwischen Erhabenheit und Ekel, welche die stärksten Zeichen setzt.

Formal innovativ wirkt die Müllkunst dadurch, dass sie sich einer Ästhetik des Vollendeten und Makellosen entzieht. Müllkünstler entwerfen Psychogramme unser Konsumgesellschaft als Echoraum von Stimmen, die subjektiv, situativ, selbstbezogen und in je eigener Farbigkeit erklingen. Müllkünstler sind Meister einer kalten und präzisen, zugleich aber emphatischen und engagierten Beobachtung. Als Wirklichkeitensammler erscheint ihnen die Welt voller «objets trouvés». Das Anhäufen ist dabei nicht Ausdruck eines Lebensgefühls («I shop, therefore I am»), sondern eine Frage von Wahrnehmung und Haltung, begründet aus einer Ästhetik der Existenz. Auslöser dieser Lebenskunst ist der Müll.

Durch den doppelten Blick auf Müll und Kunst wird der leere Raum zwischen ihnen sichtbar. Was durch Filter und Ordnung oder durch die Unterscheidung von richtig und falsch, wertvoll und wertlos, rein und unrein in einem Trichter des Sinnlosen entsorgt worden ist, taucht im Zwischenraum der Kunst, dort, wo Gegensätze und Widersprüche toleriert und respektiert werden, wieder auf. Gerade die Kunst sucht damit nicht den alltäglichen Normalfall, sondern den unerhörten Zwischenfall. Ästhetik ist eine Zwischenerfahrung, in der Sinn und Unsinn ohne harte Konturen ineinander übergehen. Gegenstand der Kunst ist nicht das Kunstsystem, sondern die Einheit…

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