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Titel: Müllkunst · von Paolo Bianchi · S. 34 - 45
Titel: Müllkunst , 2004

EDITORIAL
MÜLL – DER SCHATTEN DER KUNST

VON PAOLO BIANCHI

«Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll.»
Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, 1966

Die Beschäftigung mit Müll im Kontext der Kunst ist Kulturphilosophie pur – ein weites Feld. Als Disziplin weder betont kommunikativ oder sonderlich kontemplativ, ist die Kulturphilosophie ihrer Natur nach ein schöpferisches Fach. Richtungsweisend bleibt sie, wenn es ihr gelingt, sich permanent mit neuen Begriffen zu konfrontieren. Auch beim Begriff der Müllkunst handelt es sich, wie bei anderen Begriff auch, um ein Paradoxon. Abfall wird im folgenden weder als wertloser noch als besonders wertvoller Rest begriffen, sondern als Material, das, gerade weil es nach konventionellem Maßstab fehlerhaft, misslungen oder verbraucht erscheint, unvorhersehbare Dynamiken freisetzen kann. Es ist die energetische Substanz im Abfall, welche die Trash-Artisten antreibt. Sie finden sich zwischen Irritation und Bezauberung. Die Auseinandersetzung mit dem Müll setzt neue Maßstäbe im Wechselspiel zwischen Kunst / Leben, Ästhetik / Existenz, Poesie / Theorie, Abfall / Einfall, Anwesenheit / Abwesenheit, Schönheit / Hässlichkeit.

Müll ist das Gegenstück zur Kunst. An den Rändern des Lebens, irgendwo zwischen Dunkelheit und Licht, ist alles zu finden: der Müll, die Kunst und – das Lebensglück. Wer Kunst als Lebens-Kunst begreifen kann, hat den Mut, auch über Alltägliches und Abfälliges zu staunen. Es ist eine Kunst, ein Werk zu schaffen, das einen Weg weist, das sich eine Schneise bahnt durch die Gerümpelhaftigkeit der Existenz und diese Spur dann zu einem Lebenskunstwerk entwickelt. Müll als Schatten der Kunst beleuchtet die Simultaneität der Ereignisse und skizziert…


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