Mitdenken und mitfühlen
Zu den Exposures von Barbara Probst
von Michael Stoeber
Es gilt, in diesem Essay über Werke zu sprechen, die nicht hoch genug zu preisen sind. Es handelt sich dabei um die ebenso komplexen wie ästhetischen Bilderreihen der Fotokünstlerin Barbara Probst, die sie seit einem Vierteljahrhundert schafft. Ihre erste Bilderreihe entstand am 7. Januar des Jahres 2000 um 22:37 Uhr auf dem Dach eines Hochhauses in Manhattan, New York. Probst gab ihr den zugleich lakonischen und beziehungsvollen Titel Exposure #1: N.Y.C., 545 8th Avenue, 01.07.00, 10:37 p.m. – ein Begriff, den sie seitdem für alle ihre Werke verwendet und der Einfachheit halber durchnummeriert. Ein im Februar 2024 produzierter, fabelhafter Katalog1
listet ihre gesamten, bis Mitte November 2023 entstandenen Exposures auf. Er wurde publiziert, um eine retrospektive Ausstellung von Barbara Probst zu begleiten. Sie führte in 2024 und 2025 von Luzern in der Schweiz über Cincinatti in den USA zu ihrer letzten Station im hannoverschen Sprengel Museum, dort glänzend kuratiert von Stefan Gronert. Das letzte, in diesem Katalog aufgeführte Werk Probsts trägt die Nummer Exposure #189 und entstand am 15. November 2023 um 14:01 Uhr im New Yorker Central Park.
Für alle Bilderreihen der Künstlerin ist die Einheit von Ort, Zeit und Handlung konstitutiv, die Aristoteles in seiner Poetik auch für die Konstruktion des Dramas gefordert hat, um den Blick auf das Geschehen zu fokussieren. Diese Einheit wird in Probsts Werktiteln hervorgehoben, die präzise Ort, Tag und Uhrzeit ihrer Aufnahmen angeben. Spezifisch für sie ist, dass die Fotografien der einzelnen Bilderreihen aus unterschiedlichen Perspektiven im selben Sekundenbruchteil…