Mit Leib und Seele
Körperlichkeit in der Performance Art
von Ann-Katrin Günzel
Acht Stunden lang stand Miles Greenberg (*1997) anlässlich der Eröffnung der Biennale von Venedig am 18. April 2024 mit von Pfeilen durchbohrter Haut im Palazzo Malipiero auf einem Stein vom Lido und nahm während ganz langsamer, aber stetiger Umdrehungen unterschiedliche Positionen des Heiligen Sebastian ein.1 Während Licht und Schatten sich in dem historischen Saal veränderten und das Vernissagenpublikum kam und ging, wurde sein Körper Material und Ausdruck, Werkzeug und Skulptur zugleich. Der Bezug auf den Heiligen entstand im Dialog mit den Sebastiandarstellungen in der Galleria dell’Accademia.
Der Kult des Hl. Sebastian, welcher der Legende nach um 288 n. Chr. in Rom starb, nachdem er während der Christenverfolgung unter Diokletian seines Glaubens wegen zum Tode durch Pfeile verurteilt worden war, hatte sich nach dessen Tod schnell verbreitet, er wurde Patron der Soldaten und Bogenschützen, gegen Seuchen und die Pest angerufen und ist einer der Schutzpatrone Roms. Spätestens seit der Renaissance wurde er von zahlreichen Künstler*innen als Märtyrer von großer Schönheit dargestellt, sein nackter jugendlicher Körper an einen Baum gefesselt und von Pfeilen durchbohrt. Statt eines gefolterten Leibes sieht man in den historischen Bildern einen unbeugsamen und makellosen, meist muskulösen Körper, der sich dem / der Betrachter*in vielmehr darbietet, als dass er sich unter Schmerzen winden würde. Ergriffen zwischen Entsetzen und Ekstase scheint sein Blick von fassbarem Vorwurf, aber keinesfalls von quälendem Leiden erfüllt. Diese Ikonografie wurde ikonisch für die queere Szene, die seine Legende in homoerotischen Darstellungen verarbeitete, wie z. B. in…