Dora Imhof
Missing Link
»Menschen-Bilder in der Fotografie«
Kunstmuseum Bern, 3.9. – 14.11.1999
Nun fixiert der Mechanismus des Apparates dieses Gesicht; er kann fürchterlich genau treffen, eine entsetzlich scharfe Wahrheit geben. Aber diese fotografische Wahrheit ist eine vollendete Unwahrheit, denn das Original hat in diesem Moment eben doch nicht sein wahres Gesicht gehabt. Der Künstler dagegen, der wahre Künstler kann und darf nicht ganz naturtreu sein… Wahrhaft getroffen ist bloß das idealisierte Portrait, vorausgesetzt, dass es den in ihm dargestellten Menschen nicht im falschen Sinn idealisiert, nicht fad beschönigt zeigt … Der Künstler zieht aus einer Reihe von Momenten eine Quintessenz; er muss hinter die Oberfläche zurückgehen und den Kern erfassen. Diesen geistigen Akt kann eine Maschine nicht vollziehen” so lautet das – negative – Fazit über die Fotografie, dass Theodor Friedrich Vischer in seiner 1898 erschienenen Publikation “Das Schöne in der Kunst” zog.
In Vischers Text klingen verschiedene Topoi an, die die Fotografie seit ihrer Entstehung begleitet haben. Ihr Verdienst sah man zunächst darin, die Natur schnell und präzise abzubilden: ihre dokumentarische Funktion. Dies rückt sie jedoch – so Vischer – von der Kunst weg, die immer auch interpretiert (und idealisiert), nicht nur mechanisch/chemisch registriert. Man könnte sich jedoch auch vorstellen – was Vischer nicht tat –, dass der Fotograf selbst zum Künstler wird, und die Natur oder den Menschen mittels Maschine und der Wahl des Motivs, des Ausschnittes, der Bearbeitung etc. interpretiert. Eine Auffassung, die heute allgemein akzeptiert ist und auch ein Ausgangspunkt der Ausstellung “Missing Link” ist. Nur nennt man…