Michael Nungesser
Misses im Museum: |90 60 90|
Museo Jacobo Borges, Caracas, Juni 2000
Hinter dem nüchternen Titel “90 60 90” in leuchtendem Gelb auf pinkfarbener Oberfläche verbergen sich königliche Maße: nicht die gekrönter Häupter blauen Blutes, sondern die hochgezüchteter junger Körper. Thema der ungewöhnlichen Schau an musealem Ort bilden Miss-Wahlen. Nirgendwo sind sie so sehr ein nationales Massenvergnügen wie in Venezuela. “Ein Land im Miss-Wahn” titelte “Bild am Sonntag” Ende letzten Jahres ihren Bericht über die Schönheitswettbewerbe. Die Ausstellung, von der hier die Rede ist, fand also nicht irgendwo statt, sondern in dem am Karibischen Meer gelegenen nördlichsten Staat Südamerikas. Sie bildete dort das kulturelle Ereignis der Saison.
“Erstmals wird weibliche Schönheit nach den Richtlinien des Laufsteges 90-60-90 in die Säle eines venezolanischen Museums getragen: Göttinnen, Diven und Misses in der Sicht venezolanischer und ausländischer Künstler”, formuliert stolz das gastgebende Museo Jacobo Borges (begründet von einem der bekanntesten zeitgenössischen Künstler des Landes – einst daad-Gast in Berlin). Es liegt im Arbeiterviertel Catia der Landeshauptstadt Caracas am Rande eines Parkes. Am Eröffnungstag fand dort zum Abschluss der “Woche für die Rechte des Kindes” ein großes Drachenfest statt, organisiert von der Gattin des Präsidenten, der sich gerade zur Wiederwahl stellte (und nach verschobener Wahl auch gewann). Die Türen standen offen, und Scharen junger Bewunderer umdrängten die anwesende Miss República Bolivariana de Venezuela (wenige Tage zuvor auf Zypern als zweite aus den Wahlen zur Miss Universum hervorgegangen): Schreie, Geschubse, Blitzlichter, gefrorenes Lächeln, Autogramme en masse.
Eine kleine Abteilung mit Texten, Fotos, Kostümen und Schmuck vermittelt einen…