Heinz Schütz
Mike Kelley
»Katholische Vorlieben«
Haus der Kunst, München, 10.2. – 16.4.1995
Ein umgangssprachlicher, insbesondere auf Kinder angewandter Euphemismus für “auf dem Nachttopf sitzen” heißt “auf dem Thron sitzen”. Das Kind wird hier zum “König” erklärt, zumindest für den Augenblick, für den es seine Notdurft auf dem Topf verrichtet. Ironisch deutet sich dabei eine Art von karnevalesker Verkehrung an: Erhöhung durch das als das nieder Erachtete, den Stuhlgang. Ein Zusammenhang blitzt auf zwischen Ausscheidung und Macht. Die revolutionäre Botschaft des Nachttopfs lautet: Aristokratie hin oder her, Kind und König sind gleich. Doch mehr noch als der Stärkung des Gleichheitsprinzips dient der Euphemismus dazu, den Übergang von der Windel zum Topf und die damit gewonnene Körperkontrolle mit der verbalen Nobilitierung zu belohnen. Dabei wird der Topf zum Zeichen der neu gewonnenen Würde. Ein Vorgang, der sich historisch belegen läßt. Zur Zeit des Absolutismus stellt die Verwendung des Nachtstuhls ein Distinktionsmerkmal dar, das den Höfling demonstrativ über das Volk erhebt. Das bedeutet, die Domestizierung des Ausscheidungsvorgangs dient nicht zuletzt, wie Norbert Elias zeigt, der Inszenierung von Macht.
Im Londoner Stadtteil Camden, wo die Angehörigen der gewöhnlich von der Ober- Unterschicht genannten leben, stiegen in den siebziger Jahren jugendliche Bewohner der Hochhäuser immer wieder auf das Dach der Fahrstühle und urinierten auf die alten Leute, die die Fahrstühle benützten. Die Entdomestizierung der Ausscheidung wird hier zur pubertären Waffe. Die Ohnmacht entlädt sich gegen die Ohnmächtigen.
Eine aus zwei Acrylzeichnungen bestehende Arbeit von Mike Kelley trägt den Titel “Double Hierarchy”. Kelley hängt sie in seiner groß angelegten…