Auf einen labilen Menschen dürfte die Konfrontation mit den so empfindlich ausbalancierten Skulpturen von Michael Witlatschil einen geradezu spiegelbildlichen und womöglich therapeutischen Wiedererkennungseffekt auslösen – die demonstrative Beherrschung des Gleichgewichts stärkt gewiß das Selbstvertrauen. Freilich bleibt ein letzter Rest an Ungewißheit, ob nicht doch einer dieser gewichtigen Eisenpfeiler – wie tatsächlich schon einmal an diesem Ort geschehen – zu Boden stürzt, selbst dann, wenn der aufmerksame Betrachter das “Noli me tangere”-Gebot strikt befolgt. Allein deshalb ist wohl jede Ausstellung mit Witlatschil ein Wagnis, das durch die Offenheit der (provisorisch umzäunten) Installation bedingt ist. Die Entlarvung der Illusion einer freischwebenden Plastik ist sein Verdienst. Bekanntlich wurde die moderne Skulptur nach dem Vorbild der Architektur durch Ausschaltung der tektonischen Gesetze revolutioniert. Indem Witlatschil diese Bestrebung sprichwörtlich auf die Spitze treibt und die Skulptur schwebend aufrichtet, erreicht er eine paradoxe Wendung zum großen Leitmotiv einer dem menschlichen Körper zugeordneten Senkrechten.
Witlatschil rührt damit an eine grundlegende Idee der Skulptur überhaupt, im besonderen an das Ideal der modernen Plastik, das sich am urtümlichen Empfinden orientiert, aber weit mehr Kalkül aufweist. Das gilt (im nachmodernen Kontext) bedingt auch für die seit 1989 entwickelten “Konfigurationen”, die mehrere Objekte zu environmentalen Konstellationen in Beziehung setzen. Die vierkantige, oben eingekerbte und unten zugespitzte, außerdem von einem Seil durchbohrte Stahlskulptur ist Teil einer solchen Konfiguration mit dem vielsagenden Titel “Die Flucht”. Während dem Seil ursprünglich die ganz praktische Funktion zugedacht war, den über einhundert Kilo schweren Stahl bei der nahezu rituellen Handlung des Aufrichtens zu unterstützen, kann über die dazugehörige…