Heinz Schütz
Michael Witlatschil
Galerie Karin Sachs, 15.9. – 14.10.1989
Unternimmt man den Versuch, Michael Witlatschils Skulpturen mit einer prägnanten Formel zu erfassen, ließe sich in freier Abwandlung von Franz Erhard Walthers “Ich bin die Skulptur” formulieren: Der Standpunkt ist die Skulptur. “Punkt” ist dabei wörtlich zu nehmen, denn die Bodenberührung von Witlatschils Skulpturen reduziert sich auf das äußerste Minimum. In Zustand des labilen Gleichgewichtes balancieren Metallstangen und -körper im Raum – weitausholend in den frühen Skukpturen, später formal reduzierter und dann dialogisierend in Zweier- aber auch Dreiergruppen.
Der Begriff “Standpunkt” läßt sich abstrakt als feste Überzeugung, konkret als Ort im Raum verstehen. Wie andere Begriffe, die bis ins Ethische hineinreichen, stellt die abstrakte Bedeutung hier ein metaphorisches Derivat körperbezogner Begrifflichkeit dar. Auf dem körperbezogenen Bereich agiert Witlatschil mit – emphatisch gesprochen – für menschliches Selbstverständnis zentralen Begriffen wie “standhaft” oder “aufrichtig”. Das labile Gleichgewicht der Skulpturen zeitigt durch die ständig drohende und erwartete Zerstörung ein permanentes Jetzt-Noch und tendiert darin dazu, das Jetzt zu perpetuieren. Dem Rekurs auf die Zeit entspricht das Performative der Aufrichtung der Skulptur, die selbst Bestandteil des Werkes wird und von Wilatschil bisweilen in Performances vorgeführt wird. Um die Skulptur auszubalancieren, ist eine dialogische Haltung erforderlich, die reaktiv die wirkenden Kräfte aufgreift, um im Sinne eines meditativen Aktes des Wartens, Schweigens und der Anverwandlung den Standpunkt der Skulptur zu bestimmen. Eine ähnliche Haltung der Behutsamkeit und Selbstkontrolle wird auch von dem Betrachter abverlangt. Indem die Skulpturen einen Horizont permanenter Bedrohung evozieren weisen sie über ihre reine Präsenz hinaus…