Michael Wesely
Es ist eines der bezeichnenden Merkmale der Fotografie”, schreibt Marshall McLuhan, “daß sie einzelne Augenblicke aus dem zeitlichen Ablauf herauslöst.” Die Fotografie, auf die McLuhan in diesem Zusammenhang bezug nimmt, ist eine Aufnahme des “St. Petersdoms in einem historischen Augenblick”, Titelbild des Magazins “Life” vom September 1963. Sie zeigt die Wirklichkeit eines spezifischen Ortes zu einem bestimmten Zeitpunkt, augenblicklich festgehalten, bei Tageslicht in der Regel für den Bruchteil einer Sekunde.
Das Forum Kunst in Rottweil präsentiert nun dieser Tage einen Fotografen, dessen Arbeiten mit der McLuhanschen Spezifik des Mediums Fotografie so gar nichts mehr gemein haben. Für Michael Wesely nämlich dauert der fotografische Augenblick in den kürzesten Fällen zwei Stunden, oft tagelang, manchmal gar über ein Jahr. Ausgerüstet mit selbst entwickelten Plattenkameras und hochempfindlichem Fotomaterial macht sich der Münchner auf die Suche nach Motiven. Den Rest besorgt die Zeit.
Die Ausstellung in Rottweil präsentiert einige wenige Kostproben dieser fast schon experimentellen Fotografie. Sie hebt an mit einer Serie von Stilleben, welche die Lebenszeit eines Tulpenstraußes dokumentieren. Tisch und Vase bilden darin die einzigen Konstanten, während die Bewegung der welkenden Blütenpracht selbst zu einer Art transparentem Aquarell verschwimmt.
Die großformatigen Fotografien gegenüber zeigen Strandaufnahmen, entstanden an drei Sommertagen im italienischen Badeort Lignano. Die Belichtungszeit ist auch hier unmittelbar mit dem Motiv verknüpft. Sie beträgt acht Stunden, also etwa die Dauer eines durchschnittlichen Strandbesuches. … Diesen ‘Stundenbildern’ folgt der Probelauf für eine Jahresbelichtung, diesmal realisiert in den Räumen des Frankfurter Portikus sowie im Büro Kasper Königs. Von der Wirklichkeit des zentralen Ausstellungsraumes im Portikus…