Thilo Koenig
Michael Schmidt
»Waffenruhe (1985-87)«
“Aus der Tür rausgehen und fotografieren”: Seit dem Beginn seiner fotografischen Arbeit 1965 war es für den geborenen Berliner Michael Schmidt (45) wichtig, dort zu arbeiten, wo er lebt, Motive aufzusuchen, mit denen er vertraut ist. Seinem Fotozyklus “Waffenruhe” (1985-87) gingen mehrere Ausstellungs- und Buchprojekte zum Thema Berlin voran; aber zum ersten Mal hat sich Schmidt jetzt deutlich von einem ehemals dokumentarischen Konzept gelöst.
“Waffenruhe” – das sind Bilder einer unermüdlichen fotografischen Spurensuche in den Randgebieten des Alltags, vor allem entlang der Berliner Mauer, gewissermaßen der symbolischen “Waffenstillstandslinie” nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie erwecken den Eindruck einer unbewohnbaren Öde, fernab allen Lebens. Die Orte sind selten identifizierbar, auch zeitliche Bezüge fehlen meist; nur kahle Äste und gefrorene Pfützen lassen darauf schließen, daß zumeist Winter war. Unschärfen, starke Hell/Dunkel-Kontraste und Aufnahmen aus fahrenden S-Bahnen herrschen vor, Fotografien durch Distanzebenen wie schmutzige Glasscheiben und rissige Netze, Naheinstellungen auf Zweige und Gräser, deren Hintergrund unkenntlich bleibt, oder verschwommene Vordergrundobjekte, die das Motiv halb verdecken.
Sind dies Stilelemente, die in der künstlerischen Fotografie schon eine lange Tradition haben (die Frage “scharf oder unscharf” etwa gehörte mit zu den frühesten fotoästhetischen Debatten), so beziehen die Arbeiten von Schmidt ihre Spannung immer wieder aus der Verknüpfung von Bildästhetik und -inhalt: Verfallsspuren, Graffiti, Strukturen von Eisen, Beton oder Erde verweisen immer direkt oder indirekt auf die politische Situation – die Mauer und ihre Umgebung als “offene Wunde” der Geschichte. Wenn Brassai in den 30er Jahren Oberflächenstrukturen fotografierte, ging es ihm um zufällig entstandene Bedeutungen und…