Maribel Königer
Michael Kunze
»Der Morgen«
Forum Kunst, Rottweil, 8.12.1990 – 13.1.1991
Die “Alexanderschlacht” Albrecht Altdorfers von 1529 darf sich nicht nur zum historischen Kernbestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen rechnen, sondern auch zu den Publikumslieblingen der Alten Pinakothek in München. Die Akribie und Geduld, mit der der Maler die unzähligen Beteiligten des Kampfes bei Issus detailgenau wiedergegeben hat, beeindruckt stark, zumal trotz aller Kleinteiligkeit die Stellungen der Perser und Griechen exakt zu unterscheiden sind. In den Formationen der kummulierenden Wolkenbänke glaubt man die Heeresordnung auf der Erde wiederzuerkennen, und der Versuch, selbst die Topographie aus dem erhöhten Blickwinkel, den man von Weltlandschaften kennt, realistisch darzustellen, verleitet so manchen Betrachter, sogar über die Tageszeit zu räsonieren, die Altdorfer für sein Panorama gewählt haben könnte: Sonnenauf- oder -untergang, Morgen oder Abend?
Michael Kunze, der in München nicht nur die Akademie besucht, sondern auch kunsthistorische Seminare belegt hat, ist daran gewöhnt, mit Alten Meistern verglichen zu werden. Seine Bilder malt er mit Acryl auf Leinwand in einem Duktus, der der Ölmalerei des Donauschülers ähnlich nahesteht, wie sein jüngst in Rottweil ausgestelltes Werk “Der Morgen” dem Format nach aus der Rubenswerkstatt stammen könnte. Sechsunddreißig Quadratmeter Fläche bedeckt dieses kolossale Gemälde; auf sechs mal sechs Metern breitet Kunze in ihm seine Vorstellung vom Kosmos aus. Die sechs Teile à drei mal zwei Meter, aus denen sich das Riesenbild zusammensetzt, auszuführen, hat ihn drei Jahre gekostet, drei Jahre, in denen er unabhängig von der ständigen künstlerischen Arbeit immer wieder eingetaucht ist in die streng geordnete und gleichwohl so verwirrende Systematik…