MICHAEL KRAJEWSKI
Mediumistische Wesen als Künstler
“Allem Anschein nach handelt der Künstler wie ein mediumistisches Wesen, das aus dem Labyrinth jenseits von Zeit und Raum seinen Weg zu einer Lichtung sucht. […] Ich weiß, dass diese Ansicht die Zustimmung mancher Künstler nicht erhalten wird, die diese mediumistische Rolle zurückweisen und auf der Gültigkeit ihres vollen Bewußtseins beim kreativen Akt beharren […].”
Der Schein trügt: Kein esoterischer Schwarmgeist beschwört hier übersinnliche Eingebungen, sondern der unterkühlte Ironiker Marcel Duchamp in seinem Vortrag “Der kreative Akt” von 1957. Duchamp, der Meister des ästhetischen Kalküls, der anspielungsreichen, gleichzeitig hermetischen Kunst vertritt damit keineswegs einen rückwärtsgewandten Genie- oder Musengedanken, sondern fokussiert die Frage, was durch Kontakt mit dem Betrachter aus dem “mediumistisch geborenen” Kunstwerk im Rohzustand entsteht. Unter dem Begriff “mediumistisch” fasst man gemeinhin Handlungen, aber auch Texte und Zeichnungen, die unter dem Eindruck außerpersönlicher Lenkung entstanden sind – egal ob während spiritistischer Sitzungen, auf Befehl höherer Wesen oder in visionärer Entrückung. Auch Duchamps Ausdruck von Kunst im Rohzustand (“art à l’état brut”) weist auf eine andere Wortprägung: auf Jean Dubuffets Art brut für die kulturell nicht determinierten Schöpfungen von Geisteskranken und Außenseitern, darunter auch Medien. Wenn Duchamp das Wesen des schöpferischen Tuns, das Zentrum der künstlerischen Bemühung, mediumistisch nennt, dann eher rhetorisch, denn mit seiner eigenen Kunst reflektierte er radikaler die Auseinandersetzung mit dem Rezipienten als jeder andere Künstler vor ihm. Ohne die schöpferische Leistung des Betrachters bleibt jedes Ready-made ein banaler Gegenstand.
Nachfolgend soll anhand einiger historischer Beispiele gezeigt werden, dass Duchamp en passant auf einen…