NOEMI SMOLIK
Matthew Barney und Constantin Zvezdochotov
EIN INDIVIDUALIST UND EIN MYTHENERZÄHLER IM ZEITALTER BRÖCKELN DER MAUERN
Die jungen Künstler Matthew Barney und Constantin Zvezdochotov wuchsen in großen Nationen auf, die bis vor kurzem eine Führungsrolle in der Welt für sich beansprucht haben. Aus dieser Führungsrolle schöpfen beide Länder ihre politische, soziale und kulturelle Identität. Mit dem unaufhaltsamen Zerfall ihrer Position in der Welt als Führungsmacht zerbröckelt jedoch auf einmal ihre Identität wie eine durch Feuchtigkeit auseinanderfallende Mauer. Ein Haufen Schutt von unerfüllten Träumen und Wünschen bleibt übrig und die Einsicht, daß plötzlich alles anders sei.
Matthew Barney ist Amerikaner, Constantin Zvezdochotov kommt aus der ehemaligen Sowjetunion. Beide reagieren mit ihrer Kunst auf den Zerfall der Identität ihrer Ländern, beide arbeiten mit unerfüllten Wünschen, beide haben die aktuelle Situation zum Ausgangspunkt ihrer Kunst genommen. Doch ihre Vorgehensweisen sind so unterschiedlich wie ihre Herkunft. Aber wo liegen die Unterschiede, wo Überschneidungen oder Ähnlichkeiten sogar, außer, daß beide Großmächten entstammen, deren Größe endgültig vorbei zu sein scheint.
Matthew Barney ist Amerikaner und daher Individualist. Er löst entsprechend der amerikanischen Tradition die Frage der Identität in einem Dialog mit sich selbst, genauer mit seinem eigenen Körper. In seiner ersten Einzelausstellung in der New Yorker Barbara Gladstone Gallery im Herbst des vorigen Jahres präsentierte er ein Video. Auf diesem Video war zu sehen, wie er völlig nackt unter der Decke der Galerie vom Eingang bis zum hinteren Raum kletterte. Langsam, mit sichtlicher Anstrengung, bewegte er sich an Seilen hängend, von einem Haken, den er selbst in die Decke…