Johannes Meinhardt
Matjuschin und die Leningra der Avantgarde
Badischer Kunstverein Karlsruhe, 27.4. – 9.6.1991
Über 50 Jahre lang, von den frühen 30er bis zu den späten 80er Jahren, war die immens fruchtbare revolutionäre Phase der Kunst in Rußland, die wesentlichen Anteil an der Ausbildung der radikalen Moderne hatte, in der Sowjetunion verdrängt und verleugnet worden: Die großen Künstler des Kubo-Futurismus, Rayonnismus, Suprematismus, Konstruktivismus und Rationalismus wurden totgeschwiegen, ihre Werke blieben nur in den hintersten Ecken der Magazine versteckt teilweise erhalten. Die seit drei bis vier Jahren in Rußland wie in den USA und Europa anlaufende Welle von Ausstellungen russischer Avantgarde macht Werke und Entwicklungen sichtbar, die fast nur noch als verblassende “Mythen” existierten, die nur in unscharfen Umrissen bekannt waren, und zwingt zu deutlichen historischen Umwertungen.
Mit der Ausstellung “Matjuschin und die Leningrader Avantgarde”, die vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe im Badischen Kunstverein Karlsruhe veranstaltet wird, wird ein Künstler wieder bekanntgemacht, von dem neben vielen nur theoretisch interessanten Gemälden auch einzelne Gemälde höchster Qualität existieren, der aber vor allem als Forscher, als Wahrnehmungstheoretiker und Synästhetiker von größter Bedeutung war. Michail Matjuschin (1861-1934) war ein Freund und Mitkämpfer von Malewitsch, Tatlin und anderen Führern der radikalen Moderne. Bekannt ist die Zusammenarbeit von Matjuschin (Partitur), Krutschonych (Libretto) und Malewitsch (Ausstattung) in der futuristischen Oper “Der Sieg über die Sonne”, 1913, oder Matjuschins Freundschaft mit dem Dichter Welemir Chlebnikow, dem Erfinder der “ZAUM”-Sprache; einer Sprache, die analog zu den malerischen Entwicklungen die aus dem Satz und der Rede herausgelösten Wörter und die nichtsemantischen Elemente…