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Zeichnen zur Zeit · von Reinhard Ermen · S. 182 - 185
Zeichnen zur Zeit , 2018

Martin Assig

Der Tod sieht aus, als sei er aus einem Puppentheater entlaufen. Es geht nicht um Anatomie, sondern um Zeichenhaftigkeit. In der Mitte des Blattes ist er zu sehen, etwas unscheinbar auf dem weißgrau schmutzigen Grund. Flecken und Spritzer umgeben ihn wie blasse Gestirne. Unten auf dem horizontalen Streifen, der das Bildfeld diskret aber bestimmt abschließt, steht: „ich komme“, ein Blatt weiter heißt es „tut mir leid“ und dann „kann ich was dafür?“. Im vorläufigen Abschluss dieser Vanitas-Sequenz, wenn vier Skelette sich etwas ungelenk zum Kreuz gruppieren, lautet die Frage: „tut das weh?“ Unten rechts steht immer die Signatur „A.“, will heißen Assig, also Martin Assig. Es geht um die Nummern 206 bis 209 der Serie „St. Paul“, von der mittlerweile über 800 Blatt existieren. Viele dieser Zeichnungen haben so eine Textzeile. Der Text ist ein charakteristisches Bildelement, aber vielleicht sollte man besser von ‚Schrift’ sprechen, die dazu gehört, selbst wenn sie sich nicht so leicht durch ein Emblem aufschlüsseln lässt, wie in diesem Fall. Größere Episteln sind möglich. Der Streifen, auf dem sich die Buchstaben mit Vorliebe aufhalten, ist typisch und trotzdem nicht zwingend. Der Tod gehört zum Repertoire, genauso wie ein Mädchenkopf mit Zöpfen, Ornamentbänder, Sternformationen, „Schreihälse“, Kunstzitate und und und. Assig arbeitet an seiner und in seiner Welt, die sich vielleicht als piktorale Metaphysik ohne schwergewichtige Fußnoten beschreiben ließe. Vieles erscheint wie zum Greifen nah und bleibt doch unbegreiflich. Der Künstler gibt gerne zu, dass ihn volkstümliche Andachtsbilder und Votivtafeln faszinieren. Er ist katholisch, das verleugnet er…

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