Marius Babias, Kunstvereinsleiter
Marius Babias studierte Literaturwissenschaften und Politologie. Er war Kulturredakteur des Stadtmagazins Zitty, 1996 erhielt er den Carl-Einstein-Preis für Kunstkritiker.
Ab 1997 war er Gastprofessor an mehreren Universitäten, darunter an der Städelschule in Frankfurt. Seit 2008 leitet er den Neuen Berliner Kunstverein.
Christiane Meixner: Herr Babias, kann man Kunst anschauen, ohne zu urteilen?
Marius Babias: Ich würde sogar weiter gehen und sagen: Das ist die gängige Praxis. In einer überkomplex gewordenen Kunstwelt, die sich verstärkt aus kunstfernen Motiven speist, steht das Kunsturteil eher am Schluss der Agenda, während Kriterien wie Dabeisein, Hippness oder Glamour eine höhere Wertigkeit erreicht haben als das, was man klassischerweise als Urteil im Sinne einer ästhetischen Kritik versteht.
Seit wann ist das so?
Man kann anhand der Shell-Jugendstudien, in der zu verlässlichen Werten über die Wunschproduktion junger Menschen geforscht wird, eine Entwicklung verfolgen, die mindestens zwanzig Jahre zurückreicht. Darin wird festgestellt, dass junge Menschen in künstlerische Berufe drängen. Der Bewerbungsoverkill für Kunstakademien und verwandte Sparten bestätigt das.
Wo sehen Sie den Grund dafür?
Die studentischen Milieus der 1970er Jahre strebten politische Selbstermächtigung und Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen an. Die bildende Kunst galt als ein eher marginales Feld. Der Antrieb der heutigen Generation liegt tendenziell im Wunsch, sich selbst zu verwirklichen. Bildungsinstitutionen haben sich in Ertüchtigungsanstalten für den Markt gewandelt. Auf der anderen Seite haben wir ehemals peripher agierende Einzelpersonen wie SammlerInnen oder GaleristInnen, deren Milieus gesellschaftlich erheblich aufgeladen wurden. In einer solchen Situation verschwimmen die Kriterien. Hinzu kommen produktive Missverständnisse: Der Sammler eröffnet ein Privatmuseum zur Selbstrepräsentation, bringt seinen…