Rainer Unruh
Marina Abramovic
»Public Body – Artist Body«
Kunstverein Hannover, 22.1. – 20.2.2000
Marina weint. Die Tränen schießen ihr aus den Augen, das Make-up verschmiert und das Gesicht verzerrt sich zur Grimasse. Schleim tritt aus der Nase, rinnt aus den Mundwinkeln und tropft vom Kinn. So ist es gut. So soll es sein. “Ich esse eine große Zwiebel mit Schale; meine Augen zum Himmel emporgerichet, klage ich über mein Leben”, lautet die Regieanweisung zu “Die Zwiebel” (1995). Das Werk ist eines von 14 Videos Marina Abramovics aus den Jahren 1975 bis 1999, die gleichzeitig in einem tunnelartigen Raum des Kunstvereins Hannovers gezeigt werden. Da kann man dann noch einmal erleben, wie sich die Performance-Künstlerin die Lunge aus dem Hals schreit, wie sie sich einer modernen Medusa gleich mit Gift- und Würgeschlangen im Haar inszeniert oder wie sie sich im Stil einer Zwangsneurotikerin so lange kämmt, bis die Kopfhaut blutet.
Um Intensität, um die Energie, die extreme Erfahrungen freisetzen, und um ein existenzielles Bewusstsein unserer Leiblichkeit geht es auch in den anderen Arbeiten. Die Ausrede, dass der Geist willig, aber das Fleisch schwach sei, lässt Abramovic nicht gelten. Sie macht immer weiter, bis an die Grenzen der Belastbarkeit. “Es geht nicht um den Schmerz”, hat sie einmal gesagt, “es geht um Entschlusskraft.” Das war schon bei ihrer ersten großen Performance 1974 in Belgrad so, als sie sich in einen brennenden Sowjetstern legte und ohnmächtig wurde, weil das Feuer den Sauerstoff verzehrt hatte. Auf dem Balkan, wo sie herkomme, sei eben alles extrem, so…