Philipp Heide
Marcel Proust und die Zeichen der Malerei
Marcel Proust hat sich von der Wirkung von Kunst viel versprochen – mindestens so viel, wie die sechziger Jahre von LSD oder unsere Zeit von Cyberspace. Er sah in ihr die Möglichkeit des Menschen, die Enge der eigenen Wahrnehmung zu durchbrechen. In Auf der Suche nach der verlorenen Zeit bemerkt der Erzähler: “Dank der Kunst verfügen wir, anstatt nur eine einzige Welt – die unsere – zu sehen, über eine Vielheit von Welten, das heißt über so viele, wie es originale Künstler gibt, Welten, die untereinander verschiedener sind als jene anderen, die im Unendlichen kreisen…
Überträgt man diese Metapher auf Prousts eigenes Werk – und sein Roman strahlt hell am literarischen Firmament – so liest sich Auf der Suche nach der verlorenen Zeit als die mehr als viertausendseitige Erkundung eines fremden Sternes (dessen sieben Kontinente die verheißungsvollen Namen tragen: In Swanns Welt, Im Schatten junger Mädchenblüte, Die Welt der Guermantes, Sodom und Gomorra, Die Gefangene, Die Entflohene und Die wiedergefundene Zeit), auf dem zwar eine ganz neue und unerhörte Wahrnehmung den Leser erwartet, dessen Substrat aber eine nicht abzuweisende Ähnlichkeit mit den Menschen und Orten der Pariser Gesellschaft vor und während des 1.Weltkrieges aufweist.
Diese Ähnlichkeit hängt natürlich mit Ort und Zeitpunkt der Geburt Prousts zusammen: Er kam am 10. Juli 1871 in Auteuil, heute ein Stadtteil von Paris, zur Welt. Sein Vater war Adrien Proust, Leiter des französischen Hygienewesens, seine Mutter die musisch veranlagte Jüdin Jeanne Proust, geb. Weil. Mit zehn Jahren hatte…