JOHANNES MEINHARDT
Marcel Odenbach
»Die Kirche im Dorf lassen«
Kunstverein Heilbronn, 2.2. – 10.3.2002
Die Konstellation von drei Filmen, die Marcel Odenbach in seiner Videoinstallation “Die Kirche im Dorf lassen” von 2002 einsetzt, ist ziemlich raffiniert: die Filme verstärken einander, widersprechen einander aber auch. Alle drei Filme sind etwa 10 Minuten lang, werden aber nicht streng synchron gefahren.
Der Hauptfilm, der auf eine große Aluminiumjalousie projiziert wird, hat den Titel “Innere Sicherheit”; gemeint ist eben so sehr die innere Stärke und Gewissheit, das innere Korsett, das sich ein Individuum durch eine beliebige fanatische Überzeugung, durch eine Religion oder eine Ideologie einzieht, wie die innere Sicherheit des Staates, die eines der wichtigsten Schlagworte repressiver Macht ist.
Schon die Projektion des Films auf die Lamellen einer großen Jalousie bringt völlig andere Konnotationen ins Spiel als eine Film- oder Videoleinwand: eine Jalousie gibt gerade nicht zu sehen, sondern versperrt normalerweise den Einblick, sperrt den Blick aus einem Innenraum aus, entzieht dem Blick das Erwartete oder Vermutete und öffnet ihn so einem fantasmatischen Imaginären (‘Jalousie’ meint schließlich wörtlich ‘Eifersucht’).
Die Verschiebung des Blicks vom Gesehenen auf das Imaginierte ist aber auch ein zentrales Thema des Films: den größten Teil des Films machen Sequenzen aus, die Szenen, Rituale oder Auftritte eines sektiererischen oder zumindest streng gläubigen christlichen Lebens zeigen, die starke Glaubens- und Heilsgewissheiten spürbar werden lassen. Eine christliche Erweckungssekte inszeniert eine geistige Wiedergeburt auf dem Kölner Domplatz, mit ausgestreckten segnenden Händen und verzückten Gesängen; ein junges Mädchen in einer peruanischen Kirche wendet einen abwesenden, verzückten, blinden Blick nach oben,…