HANS-JÜRGEN HAFNER
Marcel Duchamp
Museum Jean Tinguely, Basel, 20.3. – 30.6.2002
Ein wenig ähnelt das Gerät einem Standventilator: auf die Achse eines soliden Holz-Metall-Gestells sind hintereinander Glasplatten unterschiedlicher Größe montiert, ihre Oberfläche ist mit gleichförmigen weiß-schwarzen Linien überzogen. Per Elektromotor drehen sich die Scheiben, suggerieren durch die regelmäßige Bewegung leicht aus dem Mittelpunkt verschobene, vibrierende Kreise. “Rotative-plaques-verres” vermerkt ein lakonischer Titel: Rotierende Glasplatten eben. Sie sollen “Optique de précision” sein – Präzisionsoptik, sogar. Dem Sehen stets auf der Spur, interessiert an optischen Phänomenen aber auch an der Erforschung von Dynamik und Bewegung hatte Marcel Duchamp (1887-1968) diese Maschine 1920 zusammen mit seinem Dada-Mitstreiter Man Ray konstruiert.
War das etwa schon kinetische Kunst? Oder ein Beispiel früher Op Art, wie auch die 1934 auf einer Erfindermesse erstmals präsentierten “Rotoreliefs”: ein Set von sechs beidseitig bedruckten Pappscheiben, deren Motive beim ‘Abspielen’ der Scheiben via Plattenspieler Tiefenwirkung, Illusionen hervorrufen? Duchamp, der spät und über Umwege entdeckte Klassiker der Moderne, gilt als deren radikalster Neuerer über Stile, Identitäten, Gattungsgrenzen und Strategien hinweg. Er wirkt wegweisend noch für den aktuellen Disziplinenpluralismus zwischen Design und Konzept, Pop und Theorie.
Tatsächlich beginnt eine breitere Rezeption seines disparaten Werks vor allem in Europa erst mit Beginn der 60er Jahre (etwa nach den Vorgaben von Carrouges, vor allem aber Lebel etc.). Allmählich werden hier einige Arbeiten des nahezu ‘unbekannten Meisterwerks’ über die Erinnerung Weniger, über Anekdote und Legende, hinaus bekannt. Z. B. auch durch die kleine Auswahl (inklusive besagter Rotoreliefs), die Pontus Hulten in der 1961 organisierten Gruppenshow “Bewogen Beweging” dem Publikum im…