Ingo Rentschler
Man darf den Geschmack und das Geschmacksurteil nicht von der Erkenntnis trennen
Wenn wir von unserer visuellen Wahrnehmung ausgehen, so haben wir den Eindruck, daß wir ein aus Farben, Formen und Bewegungen integriertes Bild sehen. Die Neurowissenschaften betonen gewissermaßen kontraintuitiv, daß die visuellen Daten in getrennten Hirnarealen verarbeitet werden, die nicht alle in ein zentrales Zentrum zusammenlaufen. Wie entsteht denn aus der Sicht der Neurowissenschaft oder der Psychobiologie aus einer solchen Parallelverarbeitung der Eindruck eines ganzen Bildes?
Die Ergebnisse der Hirnforschung aus den beiden letzten Jahrzehnten weisen in der Tat ganz deutlich darauf hin, daß beim Sehvorgang die visuelle Information, die zunächst durch die Reizung der Rezeptoroberfläche im Auge zustande kommt, verteilt verarbeitet wird. Es gibt schon in der Netzhaut verschiedene Zelltypen, die spezifisch auf zeitlich schnelle und auf zeitlich langsamere Vorgänge sowie auf Aspekte feiner und grober Bilddetails ansprechen. Es gibt auch eine relativ unabhängige Verarbeitung von hellen und dunklen Bildkomponenten. Entsprechende Aufspaltungen gibt es im Bereich der Lichtwellenlängen. Das ist der Ursprung des Phänomens der Farbe, obwohl diese Aufspaltung noch keineswegs die Empfindung Farbe ermöglicht. Dazu muß noch einiges an neuronaler Verarbeitung passieren. In den letzten zehn Jahren hat sich aber auch gezeigt, daß es trotz dieser Aufspaltung in Systeme relativ unabhängiger Kanäle Wechselwirkungen zwischen diesen gibt, die wir noch nicht gut verstehen. Was die Information über Konturen angeht, so können wir aber annehmen, daß sie weitgehend unabhängig zur primären Sehrinde weitergeleitet wird. Von dort aus geht es dann in eine Vielfalt interner visueller Areale, von denen…