Rainer Unruh
Mail Art
»Osteuropa im internationalen Netzwerk«
Staatliches Museum Schwerin, 21.7. – 15.9.1996
Ist da wer? Fast könnte man meinen, mitten in die Vorbereitungen zur Ausstellung hineingeplatzt zu sein. Bemaltes und bedrucktes Papier hängt an langen Leinen, die sich wie Girlanden durch den Raum winden. Aus einem geöffneten Koffer quellen Postkarten. Schlaff hängt ein aus Stoffetzen unterschiedlichster Couleur zusammengeflickter Anzug auf einem Ständer, mehr Vogelscheuche als Haute Couture.
Das Chaos hat System, vermittelt es dem Besucher doch auf Anhieb einen Eindruck von der kaum zu bändigenden Fülle, die ihn im Staatlichen Museum Schwerin erwartet. Mehr als 1200 Objekte hat Kornelia Röder, Kustodin am dortigen Kupferstichkabinett, zusammengetragen. Sie informierten in beispielloser Breite über eine Kunst, die sich gewöhnlich abseits des etablierten Ausstellungsbetriebs vollzieht.
Als Ahnherr der Mail Art gilt Marcel Duchamp, der 1916 begann, seine Einfälle auf Karten zu notieren und zu verschicken. Ray Johnsons 1962 gegründete New York Correspondence School (NYCS) erkundigte erstmals systematisch die Möglichkeiten, Kunst per Post zirkulieren zu lassen. Im Gefolge von Fluxus entstanden neue Distributions- und Kommunikationsformen abseits der tradierten Institutionen Galerie und Kunsthalle (z.B. »Fluxpost«, an der sich Ken Friedman und Joseph Beuys beteiligten). In Osteuropa fielen diese Ideen auf fruchtbaren Boden. Sie richteten sich allerdings im Unterschied zum Westen nicht gegen den Kunstmarkt, sondern zielten auf Befreiung von der Vormundschaft durch eine auf den sozialistischen Realismus fixierte Staatsmacht.
Welche unterschiedlichen Strategien die Mail-Artisten verfolgten, führt der größere der beiden Ausstellungsräume vor Augen. Die Gliederung nach Ländern läßt dabei unterschiedliche Interessen und künstlerische Schwerpunkte erkennen. Am phantasievollsten unterwanderten die…