Oliver Zybok
Lust und Zwang der Obsession.
Betrachtungen in Kunst und Gesellschaft
I. Facetten der Obsession
Der Begriff des »Obsessiven« hat in den vergangen Jahrzehnten nicht an Aktualität verloren. Vor allem in der Kunst werden immer wieder Parallelen gezogen zwischen künstlerischer Kreativität und obsessivem Drang. Auf der kuratorischen Seite kann man den Bogen von Harald Szeemanns Museum der Obsessionen zu Beginn der 1970er-Jahre bis hin zur letztjährigen 55. Ausgabe der Biennale von Venedig spannen, die das Thema kunstübergreifend durchleuchtete. Aber es gibt noch zahlreiche andere Bereiche, in denen Obsessionen eine entscheidende Grundlage des Handelns sind. In der Musikbranche scheinen Obsessionen nicht weiter bemerkenswerte Begleiterscheinungen zu sein, von John Coltrane (1926–1967) und Thelonious Monk (1917–1982) über Led Zeppelin und Motörhead bis hin zu Michael Jackson (1958–2009) und Lady Gaga (geb. 1986), um nur einige wenige zu nennen. Unabhängig davon, inwieweit die bewusst inszenierten obsessiven Charaktereigenschaften für den kommerziellen Erfolg eingesetzt worden sind und werden, offenbart sich bei den meisten die Gier nach Ruhm als Antrieb ihrer Aktivitäten. In der Literatur dürfen in diesem Kontext unter anderen so unterschiedliche Autoren wie William S. Burroughs (1914–1997), Charles Bukowski (1920–1994), Franz Kafka (1883–1924) und Robert Walser (1878–1956) nicht unberücksichtigt bleiben.
Alfred Hitchcock (1899–1980) spielte in seinen Filmen mit dem Betrachter und dessen obsessiver Lust an Angst und Gefahr, die er nur genießen kann, wenn er nicht direkt in das Geschehen involviert ist. Bei Werner Herzogs (geb. 1942) Filmen ist auf jeder Ebene die Obsession ständiger Begleiter, nicht nur in den berühmt-berüchtigten Auseinandersetzungen mit Klaus Kinski (1926–1991), sondern auch…