Sigrid Feeser
Lucio Fontana – Retrospektive
Schirn Kunsthalle, Frankfurt, 6.6. – 1.9.1996
Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Palais Liechtenstein, 20.9.1996 – 6.1.1997
Gegen das Image des Revolutionärs hat sich der 1899 in Argentinien geborene, 1968 in Italien gestorbene Lucio Fontana ein Leben lang gewehrt: “Meine Kunst ist ganz geprägt von dieser Reinheit, von dieser Philosophie des Nichts, das nicht das Nichts der Zerstörung ist, sondern das Nichts der Schöpfung … Und gerade der Schnitt – das Loch, die ersten Löcher – galt nicht der Zerstörung des Bildes, sondern im Gegenteil einer Dimension jenseits des Bildes, war die Freiheit, Kunst durch irgendein beliebiges Mittel, irgendeine beliebige Form zu verwirklichen.”
Fontanas Notiz liest sich wie eine Gebrauchsanweisung für die zum großen Teil aus den Beständen der Mailänder Fondazione Lucio Fontana zusammengestellten Retrospektive. Als er, 1949 war das, seine erste Leinwand durchbohrte und das plane Bild zum dreidimensionalen Objekt erweiterte, stand er keineswegs am Anfang seiner Karriere. Daß die internationale Kunstszene den ersten Abschnitt seines Schaffens schlicht “vergaß” – oder bewußt beiseite ließ – ist dem Provokateur von einst nicht vorzuwerfen. Der seinerzeit schockierende Eingriff markiert das Ende einer langen künstlerischen Entwicklung und einen Neubeginn, der den Fünfzigjährigen mit einem Mal an die Spitze der Avantgarde katapultiert.
Der in Frankfurt gestartete Versuch, die beiden ungleichen Hälften des Werkes wieder zusammenzufügen, birgt einige Überraschungen. Die mit 170 Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen, keramischen Arbeiten und Rauminstallationen dicht an dicht bestückten Raumfolgen summieren sich zu einem sprunghaften, in sich widerspruchsvollen Ensemble. Auf weite Strecken entsteht der Eindruck, ganz unterschiedlichen Künstlern…