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Titel: Über den Genius Loci · S. 78 - 90
Titel: Über den Genius Loci , 1984

Locus Amoenus oder die Architektur der Lust

von Gerhard Goebel
Ortsbestimmung, quasi lexikalisch

Locus amoenus, der Lustort. Auf keiner Landkarte verzeichnet, aber in der Literatur mehrfach erwähnt. Wurde in letzterer von dem Romanisten Ernst Robert Curtius entdeckt. Curtius definiert den l.a. einfach als einen “schönen, beschatteten Naturausschnitt” l, wie er in der Hirtendichtung, bei Theokrit und Vergil, als Kulisse dient; auch das Elysium, das Aeneas besuchen darf (Aeneis VI, 638 ff.), ist ein l.a. Zur Gestalt des l.a. präzisiert Curtius: “Sein Minimum an Ausstattung besteht aus einem Baum (oder mehreren Bäumen), einer Wiese und einem Quell oder Bach. Hinzutreten können Vogelgesang und Blumen. Die reichste Ausführung fügt noch Windhauch hinzu “2.

Mit anderen Worten: eine Definition des locus amoenus über dessen geophysikalische Beschaffenheit ist schwierig oder dürftig. Curtius überspielt dies mit einer Parodie der Sprache parzimoniöser Stadtväter, die dem Bürger die zu schützenden Anlagen oktroyieren. Es gibt aber funktionale Bestimmungen, die zugleich wesentliche sind. Eine – wohl die wichtigste – formuliert der von Curtius zitierte Vergil-Kommentator Servius: loca amoena dienen nur dem Genuß, nicht dem Nutzen (loca solius voluptatis plena)3. Servius ist es auch, der amoenus mit amor zusammenbringt, also wie “lieblich” mit “Liebe”; und Isidor von Sevilla nimmt das auf im 14. Buch seiner Enzyklopädie4.

Bei Curtius gewinnt man den Eindruck, als gäbe es den Lustort lediglich, einerseits in der Natur; andererseits in der Literatur. An künstliche Anlage scheint nicht gedacht. Morphologisch ist für Curtius der Grundtyp das Tempe-Tal: ein kühles Waldtal zwischen steilen Hängen, wie Theokrit es im Enkomion auf…


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