Jürgen Kisters
Lionel Guibout
»Die Zerlegung des Briareos«
Galerie Paszti-Bott, Köln, 8.1. – 26.2.1995
Die Zeit, als die Dinge in der Welt und in der Geschichte ihren festen Platz und ihre Ordnung hatten, ist lange vorüber. Der heutige Blick auf die Welt und auf den Menschen ist fetzenhaft, von Rissen und Brüchen gekennzeichnet. Die gegenständliche Kunst mit ihrem Hang zu Pathos und Harmonie ist dabei lange schon kein angemessener Weg mehr, um diese Erfahrung zum Ausdruck zu bringen. Wenn Lionel Guibout dennoch den gegenständlichen Weg wählt, um die gegenwärtige Zersplitterung der Welt-, Seelen- und Körperbilder und die Fragmentierung unserer Erfahrung künstlerisch sichtbar zu machen, muß er allerdings einen entscheidenden Schritt über die Tradition hinausgehen. Beginnt er zwar zunächst mit konventioneller gegenständlicher Monumentalmalerei (indem er kämpfende Titanen mit ihren Riesenleibern auf die Leinwand bringt), zerlegt er alsdann durch zahlreiche Schnitte und Risse diese große Leinwand in zahlreiche Einzelelemente. “Die Zerlegung des Briareos” heißt die Arbeit, die in der Galerie Paszti-Bott zu sehen war.
Viele kleine Puzzlestücke zeigen zum Schreien geöffnete Münder, Hände, die sich kämpfend an Leibern festklammern und Kopfpartien mit entsetzt aufgerissenen Augen. Der Künstler hat diese Bruchstücke in einer neuen Anordnung über den ganzen Raum der Galerie an den Wänden verteilt, in rhythmisch-bewegter, scheinbar regelloser Form. Und während überall zwischen den Bildsplittern Lücken bestehen, setzt der Betrachter die Ausschnitte in seiner Phantasie zu einem neuen Bildganzen zusammen.
Formaler Ausgangspunkt war für Guibout die Beschäftigung mit dem antiken Pergamon-Altar und seinen kämpfenden Riesenleibern, wie sie auch der Schriftsteller Peter Weiss über Dutzende von Seiten…