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Titel: Essen und Trinken · von Jürgen Raap · S. 46 - 61
Titel: Essen und Trinken , 2002

Liebe geht durch den Magen

VON JÜRGEN RAAP

Wenn der rheinische Kurfürst Clemens August in seiner Residenz Schloss Augustusburg in Brühl den Kölner Bürgermeister empfing, sah das Protokoll ein Essen mit 10 Gängen vor. Das war das bescheidenste Diner, welches solch ein Herrscher des 18. Jahrhunderts zu bieten hatte. Ein hochrangiger Staatsgast hingegen wurde mit einem Bankett geehrt, das 38 Gänge umfasste. Dabei zählte man die Schüsseln mit Fleisch und mit Gemüse nicht mit, die ohnehin als separate Beigabe zu jedem Gang obligatorisch waren1.

Bewirten und Essen ist immer auch eine Demonstration von Macht und Status. In früheren Jahrhunderten schrieb die Obrigkeit ihren Untertanen genau vor, wie viele Gänge ein Kindtauf- oder Hochzeitsschmaus höchstens umfassen durfte, damit einerseits nicht zu viel verprasst wurde und andererseits der Standesunterschied zu den höheren Schichten gewahrt blieb.

Daniel Spoerri, um 1960 Begründer der Eat Art, verkehrte die hierarchische Feudalordnung einmal in ihr kulinarisches Gegenteil: Während früher die tributpflichtigen Bauern ihrem Schlossherrn das “gute” Fleisch abliefern und sich selbst mit den Innereien begnügen mussten, ließ Spoerri bei einem Schloss-Bankett nur Bauerngerichte, und zwar Kutteln nach zwei Dutzend verschiedenen Rezepten servieren.

Jahrhundertelang war es so, dass eine dünne Oberschicht schlemmte und die Masse darbte. Die biblische Parabel vom periodischen Wechsel der sieben fetten und der sieben mageren Jahre hatte durch die häufigen Miss ernten bis weit ins 19. Jahrhundert für die Mehrheit einen konkreten Erfahrungshorizont, bis dann durch die Verwendung von Kunstdünger die landwirtschaftlichen Erträge gesteigert werden konnten.

Im Mittelalter durfte ein junger Geselle erst dann heiraten, wenn er eine Familie ernähren…

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