HERMANN PFÜTZE
LIEBE, FREIHEIT, DENKEN – ZUR ÄSTHETIK DER NACHHALTIGKEIT
Nachhaltig ist, was bleibt. – Was aber bleibt?
Ästhetisch nachhaltig ist das Flüchtige:
Augenblicke der Befreiung, der Erkenntnis, des Glücks
‘Nachhaltig’, englisch ‘sustainable’, italienisch ‘durévole’, ist ein mehrsinniges, ja widersprüchliches Wort. Im Deutschen meint ‘nachhaltig’ anhaltend, erhaltend, nachwirkend, und zwar transitiv und intransitiv im positiven wie negativen Sinn. Gefühle wie Freude und Trauer, Glück und Unglück können nachhaltig sein, aber auch Tatsachen wie z.B. Bestand und Fall der Berliner Mauer, Diktatur und Befreiung, oder die Folgen alltäglichen Tuns und Lassens, wie der Emission und des Vermeidens von Abgasen. Intransitiv versteht sich das italienische ‘durévole’: Es meint dauerhaft, haltbar, farbecht, also die substanziell-stoffliche Eigenschaft einer Sache. Das englische ‘sustainable’ ist dagegen transitiv und bedeutet: duldsam, erträglich, leidlich, aushaltbar – im Sinne belastbarer, parasitärer, sich selbst erhaltender Beziehungen. ‘Sustainability’ meint erträgliche Verhältnisse und schließt negative Folgen und Unerträgliches deutlicher aus als Nachhaltigkeit oder ‘durévolezza’. BSE zeichnet sich in England nicht durch ‘sustainability’ aus, während wir von einer nachhaltigen Katastrophe sprechen und im gleichen Atemzug die Rückkehr zu nachhaltiger, ‘sustenibler’ Viehwirtschaft fordern. Nicht nur folgenreich, sondern erträglich und unschädlich, das ist der Doppelsinn.
1.Der Nachhaltigkeitsdiskurs umfasst im wesentlichen dreierlei: erstens die Liebe zum Leben und zur Welt, zweitens die leidenschaftliche Sorge um die Gefährdung der Welt durch unsere Lebensweise, und drittens deren daher gebotene Korrekturen. Angelehnt an Niklas Luhmanns kommunikationstheoretische Studie über “Liebe als Passion”, ist es auch ein Liebesdiskurs: Über das Ideal der Weltliebe, über Umweltparadoxien als Passion, über die praktischen Probleme bewussten,…