Christian Kravagna
Lesezimmer II
»Internationale Künstler- und Kunstzeitschriften der 70er Jahre«
Depot, Wien, 10.2. – 7.3.1995
Ausstellungen der neunziger Jahre forder(te)n von ihrem Rezipienten vermehrt das Verhalten eines Lesers, weniger das eines Betrachters. Der größere Stellenwert, der – insbesondere gegenüber der vorausgegangenen Dekade – den informatorischen und aufklärerischen Ansprüchen der Kunst wieder eingeräumt wird, hängt nicht zuletzt mit bestimmten Rückgriffen auf künstlerische Modelle der siebziger Jahre und deren Neuinterpretation zusammen. Im Vergleich zu sich objekthaft manifestierenden Praktiken wie Malerei und Skulptur sind allerdings gerade jene konzeptuellen, diskursanalytischen oder auch performatorischen Modelle im kulturellen Gedächtnis weit weniger präsent. Eine Ausstellung, die ausschließlich Lesematerial anbietet, bewegt sich daher im Rahmen aktueller Präsentationsformen, und da es sich um Material aus den Siebzigern handelt, liefert sie zugleich ihre historischen Grundlagen mit.
Das von Ute Meta Bauer als Projekt des Künstlerhauses Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Münchner Kunstverein und dem Depot in Wien konzipierte “Lesezimmer II”, (Teil I war mit Zeitschriften der Gegenwart zu sehen), präsentiert zwölf Zeitschriften in jeweils ca. fünf bis fünfzehn Ausgaben, ergänzt durch die zuerst von Kasper König und anschließend von Benjamin Buchloh herausgegebene “Nova Scotia Series”, eine der wichtigsten Buchreihen zur zeitgenössischen Kunst der 70er Jahre (Asher, Birnbaum, Buren, Graham, Haacke, Judd, Y. Rainer u.a.). Der Zeitaufwand und das Köpferauchen bei der Sichtung (gar Lektüre!) des Materials sind nicht zu unterschätzen, doch bereitet diese in erster Linie äußerstes Vergnügen. Ja, Vergnügen! Ich bestehe auf dieser zweifelhaften Kategorie v.a. im Wortschatz des Kritikers. Denn wie sollte man etwa anders die Reaktion auf die unverhoffte…