Rüsselsheim
Lee Miller
Hautnah. Fotografien von 1940 bis 1946
Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen 10.02.– 25.07.2021
von Isa Bickmann
Im August 1944 gerät Lee Miller unbeabsichtigt mitten in die Kriegshandlungen im bretonischen Saint-Malo. Ihre vom britischen Informationsministerium zensierte und daher von ihrem Auftraggeber, der britischen Vogue, nicht veröffentlichte Fotografie eines US-amerikanischen Napalmangriffs gehört zu den eindrucksvollen Exponaten der Ausstellung in den Opelvillen. Der schwarze Rauch dehnt sich vor einem wolkenverhangenen Himmel schräg nach oben zu einer Kugelform aus, daneben, winzig klein, das Flugzeug, das die Bombe abwarf. Die Bildkomposition ist auf den Punkt gebracht.
Dieser Eindruck verstärkt sich beim Betrachten der weiteren Fotografien aus Lee Millers Einsatz als Kriegskorrespondentin. Sorgfältig wählt sie Ausschnitt, Beleuchtung und Bildachsen. Gegenstände und Personen werden in die Bildarchitektur eingebunden, Durchblicke rahmen zuweilen die Objekte ein. Millers künstlerische Werke der frühen dreißiger Jahre scheinen fern und doch könnte man bei dem Motiv des Bombenabwurfs – abgesehen von der nachgerade schwarzromantischen Anmutung – an die vielen Wolken denken, die von den Surrealisten gemalt wurden. Die Realität hat den Surrealismus eingeholt und verdunkelt.
Die von Beate Kemfert als Teil der Triennale RAY Fotografieprojekte Frankfurt / RheinMain kuratierte Ausstellung löst Elizabeth „Lee“ Miller (1907–1977) nicht von ihrer Biografie, die das fotografische Werk zumeist überdeckt, vielmehr setzt die Auswahl Akzente auf die Zeitzeugenschaft und die besondere Bildästhetik, mit der die Fotografin über das rein Dokumentarische herausragt. Im ersten großen Raum wird diese ungewöhnliche Frau vorgestellt: Ihre Tätigkeit als Model für die Zeitschrift Vogue beginnt mit der Entdeckung der damals neunzehnjährigen Kunststudentin durch den Verleger Condé Nast….