Hildegard Westerkamp
Lauschendes Radio – Radiolauschen
Angenommen, unsere Ohren sind so frisch wie die eines kleinen Kindes. Wir würden alle Klänge hören, würden sie bemerken und würden durchs Hinhorchen lernen, was sie bedeuten. Sobald wir sprechen könnten, würden wir “neu-gierig” fragen: “Was ist das? – Wieso klingt das so? – Warum hat es ein Echo? – Wer/Was macht das Geräusch?” Wir würden unsere Ohren zuhalten, wenn es laut ist, und würden mitsingen oder Klänge imitieren, wenn sie uns Spaß machten. Wir würden weinen, wenn uns eine Stimme Angst macht. Wir würden lachen, wenn wir uns geborgen fühlten und aus dieser Geborgenheit überraschende, neue Klänge hörten.
Klang ist Information.
Und Kinder haben immer – es sei denn sie werden davon sehr früh abgehalten – den Wunsch, diese Information zu erforschen, sich an Klängen zu orientieren. Wieviele Erwachsene der westlichen Welt haben diesen Wunsch aufrechterhalten können, diese “Klang-Neu-Gier”? Das sogenannte Erwachsenwerden hat meistens Abstumpfung unserer “Neu-Gier” zur Folge und somit Abstumpfung unserer Ohren. Wie oft horchen wir bewußt auf den Verkehr (haben Sie sich heute schon den Verkehr auf Ihrer Straße angehört? Wie unterscheidet er sich vom Verkehr im Ortszentrum oder auf der Landstraße?), auf Hintergrundmusik (wo hört man sie?), auf Vogelgesang (kennen Sie die Namen der Vögel, die Sie heute gehört haben? Welche Vögel singen wann und wo?), auf Glocken (wieviele Glocken hören Sie samstags um sechs Uhr abends), auf den Wind (im Gras, in den Bäumen, um Hausecken), auf den Rhythmus und Klang unserer Schritte, auf die Stimmen anderer Menschen, auf den Industrielärm,…