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Magazin: Kulturpolitik · von Ingo Arend · S. 469 - 470
Magazin: Kulturpolitik , 1993

La Boheme in Bonn

Theo Waigel will die Kulturförderung des Bundes streichen
Von Ingo Arend

Alle reden vom Wirtschaftsstandort Deutschland. Und wer vom Kulturstandort? Der Kanzler. Noch im Mai hatte Helmut Kohl den Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit den Worten verdutzt: “Ich hoffe auf ein Werk, das unsere Zeit und unsere Erfahrungen mit der epischen Kraft eines Tolstoi oder eines Thomas Mann beschreibt.” Kaum war der Kanzler zum Literaturgipfel mit Ernst Jünger entschwebt, hatte sein Kassenwart der Kultur das Hungertuch geworfen.

Der Plan Theo Waigels, nahezu die gesamte Kulturförderung des Bundes – mit den Literaturfonds für die Nachwuchsliteraten – zu streichen, bekräftigte die üblichen schiefen Prioritäten: In der Krise zerrinnt die staatliche Pflichtaufgabe Kultur zur disponiblen Masse. Für das Haushaltsjahr 1994 beträgt die Streichsumme zwischen BMI und BMF bereits fast sechsmal soviel wie 1993, nämlich 621,5 Millionen Mark. Kein Wirtschaftsminister hätte die Veröffentlichung einer vergleichbaren Streichliste für die milliardengefüllten Subventionsgräber der Chemie-, Verkehrs- oder Elektroniklobby einen Tag überlebt. Karenztage und Lauschangriff erodierenden Sozial- und Rechtsstaat. Nun wird der Sonntagskragen Kulturstaat abgeknöpft.

Als reine Rückverlagerung der Kulturförderung zur Kulturhoheit der Länder läßt sich die Aktion kaum tarnen. Denn der als Rettung angekündigte Bund-Länder-Finanzausgleich 1995 wird aller Voraussicht nach besonders den rezessionsgeschüttelten Ländern und Gemeinden im Osten nicht genügend Geld in die Kassen spülen, um alle bisherigen Bundeszuschüsse selbst zu finanzieren. Experten rechnen beispielsweise bei den ostdeutschen Kommunen bis zum Zeitpunkt des Finanzausgleichs nur mit einem Drittel der Steuerkraft westlicher Gemeinden. Das Streichpapier schreibt nach Ansicht des Bonner Zentrums für Kulturforschung auch die bestehenden strukturellen Ungleichheiten…


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