Ingo Arend
Kutlug Ataman
»The Enemy inside me«
Istanbul Modern, 10.11.2010 – 6.3.2011
Turkish Delight. Merkwürdig, dass diese klebrige Masse aus Speisestärke, Zucker und Nüssen immer noch ein Renner der türkischen Fremdenverkehrsindustrie ist. Der Orientalismus ist out. Aber der bestäubte Gummiwürfel der Ottomanen erfreut sich immer noch großer Beliebtheit als Last-Minute-Geschenk für Touristen.
„Turkish Delight“ heißt auch die Arbeit, die die große Retrospektive Kutlug Atamans im Istanbul-Modern eröffnet. Und man kann sie wie eine Visitenkarte des 1961 in Istanbul geborenen Künstlers lesen. Denn die sechzehnminütige Video-Arbeit aus dem Jahr 2006 zeigt Kutlug Ataman selbst. Verkleidet als Tänzerin führt einer der berühmtesten Künstler der Türkei darin den traditionellen orientalischen Bauchtanz auf.
In der Arbeit drückt sich des schwulen Künstlers Hang zu exzentrischen, gesellschaftlich marginalisierten Charakteren aus. Wie sie schon seit seinen ersten Filmen „Serpent’s Tale“ (1994) und Lola+Bilidikid“ (1998) bekannt ist. Und die Arbeit ist ein schillerndes Spiel mit den Identitäten. Die vermeintliche Tänzerin kaut ein Kaugummi während der Performance. Und die ist ausgesprochen schlecht, so gelangweilt, wie das übergewichtige, unrasierte Mannweib die Fransen ihre knappen Dessous schüttelt.
Bei Kutlu? Ataman wird aus der Choreografie der Verführung eine Trash-Performance, aus einer verlockenden identitätsbildenden Süßigkeit eine Karikatur des orientalistischen Klischees: Die Performerin weiß mit den Erwartungen des Betrachters zu spielen; der lässt sich darauf ein, wird am Ende aber enttäuscht.
Ataman gilt als Spezialist für Identitätsarbeit. In der elf großräumige Video-Installationen umfassenden Schau, die ihm das privat (von der Industriellenfamilie Eczacibasi )betriebene, erste Istanbuler Kunstmuseum „Istanbul Modern“ ausgerichtet hat, lässt sich noch einmal der Facettenreichtum nachvollziehen, mit dem…