Kunstverweigerungskunst I
Verweigerung als Schöpferische Provokation
Herausgegeben von Herbert Kopp-Oberstebrink und Judith Elisabeth Weiss
Ob auf der Karlsaue der letzten Documenta, auf der Whitney-Biennale in New York oder der Kunstbiennale Berlin – allenthalben lassen sich Tendenzen aufspüren, die verschiedene Strategien der Verweigerung in den Mittelpunkt stellen. Die klassischen Gattungen von Tafelbild, Plastik, Videokunst und Fotografie sind längst um Anordnungen und künstlerische Konfigurationen erweitert worden, die den Werkbegriff oder die Aussagekraft des einzelnen Objekts negieren und auf Kunst als soziale Bewegung setzen. Nicht selten als „Installationen“ tituliert, sind sie allerdings eher „Dokumentationen“ des aktivistischen Engagements der Künstler und wirken vergleichsweise spröde auf den Betrachter. Von diesem aktuellen Befund ausgehend werden unterschiedliche Formen einer „Kunstverweigerungskunst“ aufgespürt, die sich gegen das Werk selbst, gegen den Betrachter von Kunst oder gegen den Komplex von Markt, Gesellschaft und Politik richten. Verschiedene, teils konkurrierende Konzepte von Anti-Kunst, Nicht-Kunst und Kunstlosigkeit bedienen sich seit einem Jahrhundert der Formlosigkeit, der Ironie, der Zerstörung und des ästhetischen Widerstandes, um konventionelle Grenzen zu überschreiten. Künstlerische Positionen, die auf die totale Verweigerung einer ästhetischen Erfahrung zielen, werden nicht zuletzt durch den Zweifel am darstellenden Charakter der Kunst genährt. Doch die künstlerischen Verwerfungen des Werks gehen im Gegenzuge mit einem hohen Maße an Ästhetisierung einher: Relikte der Rebellion, des Protests und der Zerstörung werden selbst wieder als Kunstwerk eingeführt. HERBERT KOPP-OBERSTEBRINK und JUDITH ELISABETH WEISS arbeiten in ihrem einführenden Beitrag die paradoxe Struktur der Verweigerung heraus. Das „Aussteigen“ als Lebenshaltung erhält in der Kunstinszenierung eine widersprüchliche Note: Die emanzipative und kritische Kunst bleibt immer an den gesellschaftlichen Diskurs gebunden, den sie kritisiert und von dem sie sich zu emanzipieren sucht. Mit Fluxus nimmt KERSTIN SKROBANEK eine künstlerische Bewegung in den Blick, die mit ihren radikalen Strategien der Ablehnung, etwa der Preziose, des Geniekults, des Unikats oder der Trennung der Gattungen, grundlegende Weichen der Verweigerungskunst stellt. Auch die „Enkel“ von Fluxus sehen sich mit der Widerständigkeit gegenüber Objekthaftigkeit und Präsenz konfrontiert. In ihrer Betrachtung der Kunst als sozialer Praktik spürt KIRSTEN CLAUDIA VOIGT einem erweiterten Kunstbegriff nach, dem es um die Absage an ein objekt-, werk- und repräsentationszentriertes Kunstverständnis geht. Ausgehend von Joseph Beuys´ Proklamation „Ich steige aus der Kunst aus“ fokussiert sie aktuelle Positionen, die „Kunst“ in Bereiche von Lebenskunst, Selbstformung, Performativität, Partizipation und Politik auflösen. Die folgenreiche Erweiterung des Kunstbegriffes diskutiert Anna Spohn in ihren Überlegungen zur partizipativen Kunst und deren Pendeln zwischen Ästhetik und Ethik. Handlung, Teilnahme und Beteiligung des Publikums konstitutieren eine Kunst, die zwischen ästhetischer Erfahrung und deren Negation anzusiedeln ist. GUNNAR SCHMIDT beschäftigt sich mit Zerstörung als Spektakel und Katharsis und geht den Spuren der Verweigerung gegenüber einer „heilsamen Kunst“ nach. Er zeigt auf, dass destruktive Momente in der Kunst genutzt werden, um Unruhe und Brüche mit Ganzheitsästhetiken, mit dem Geschmackvollen und dem Fetischhaften des künstlerischen Objekts zum Ausdruck zu bringen. JUDITH ELISABETH WEISS beleuchtet ein Kampfmittel, das vor allem in der Tradition der Institutionenkritik steht: den Kunst-Streik. Als ironische Metapher bis hin zum tatsächlichen Aussetzen der künstlerischen Produktion adressiert diese Form des künstlerischen Protests unzumutbare Auferlegungen von Markt und Gesellschaft. DIANA WECHSLER stellt künstlerische Verweigerung in den Kontext zivilen Ungehorsams im politisch-historischen Ausnahmezustand. Sie präsentiert künstlerische Positionen mit dem Fokus Südamerika, die die Negation der Kunst ihrerseits dezidiert negieren und als Mittel der Verweigerung gerade auf die Kraft der Kunst setzen. Die Gespräche mit GUSTAV METZGER und FRANCESCO MATARRESE geben Einblicke in die inneren Notwendigkeiten künstlerischer Verweigerungsstrategien, in ihre Radikalität, ihre Wirkmächtigkeit und – ihre Aporien. Mit den abschließenden Überlegungen von HERBERT KOPP-OBERSTEBRINK zu Matarreses asketischem Work in Progress und dessen messianischen Tendenzen schließt sich der Kreis der Rebellierer, Protestierer und Verweigerer: Die Verweigerungskunst nährt sich aus den vielfach proklamierten Enden der Kunst und findet ihre nicht zu beendende Bestimmung in der restlosen Kunstverweigerung.