Künstler sind betrogene Betrüger
Rainer Metzger sprach mit Ernst H. Gombrich
Zeitzeugen des Jahrhunderts nennt man seinesgleichen. Sir Ernst H. Gombrich, Jahrgang 1909, Absolvent der Wiener Universität, als noch die berühmte “Wiener Schule der Kunstgeschichte” am Ruder war, Emigrant nach England im Jahr 1938, gehört jener selten gewordenen Spezies an, für die der emphatische Begriff “Gelehrter” steht. Seine Disziplin, die Kunstgeschichte, hat er mit Gedanken angereichert, die von den benachbarten akademischen Bereichen, der Psychologie, der Sprachwissenschaft, kamen; angereichert aber vor allem auch mit Alltagserfahrungen, lange bevor die diversen Pop-Arten derlei methodisch etablierten. Gombrich hat sich mit Progressionsmodellen auseinandergesetzt und mit der Frage der Normen. Gerade deswegen hat Gombrich, der Generalist, auch der Kunstkritik etwas zu sagen.
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R. M.: Sir Ernst, beginnen wir mit dem Versuch, Ihre kunsthistorische Methode zu beschreiben. In Ihrem Aufsatz “Botticelli’s Mythologie” legen Sie Ihr Augenmerk, nachdem Sie die Gedanken Aby Warburgs, des Begründers der Ikonologie, Revue passieren ließen und auf die Textvorlagen für ein Bild wie “Geburt der Venus” Bezug nahmen, auf die spezifisch bildnerischen Vorlagen. Botticellis “Geburt der Venus” folgt demnach dem Schema einer Taufe Christi. Könnte man sagen, daß Ihre Arbeit darin besteht, die textlastige Ikonologie mit einer Art Ikonik zu versöhnen, das schriftliche Dokument mit dem visuellen Monument?
E.H. G.: Das kann man nicht verallgemeinern. Im übrigen habe ich in der Zwischenzeit gerade den Botticelli-Aufsatz revidiert. Die Dinge liegen nicht so einfach, wie ich es damals in den Fünfzigern gehofft habe. Sicherlich gibt es immer wieder Anwendungen alter Formeln, Aktualisierungen, Zitierungen.
Denken Sie, daß Botticelli, um im Beispiel…