Kunstbrief aus Mailand
Frühling im “Paris der 80er Jahre”
Mailand ist eine flexible Stadt. Deshalb konnte sie gerade in der schnellebigen zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts eine so bedeutende Kunstmetropole werden. Puristische Anwandlungen haben die Mailänder nie geplagt. Sie operieren erfolgreich in den verschliffenen Zwischenbereichen von Kunst, Design, Kunsthandwerk, Werbung, Wirtschaft. Fazit sind große Zeitungen und Verlage, die sich mit allen Bereichen rund um Kunst befassen, ein blühender Kunsthandel, eine lebhafte Museumsszene, frischer Wind auf der Akademie – und natürlich auch bemerkenswerte Ausstellungen.
In diesem Frühjahr formulieren mit Mimmo Paladino bei Toselli und Richard Hambleton bei Salvatore Ala ein wichtiger Künstler der “alten” und der “neuen Welt” ihre Auswege aus der Jungen Wilden-Situation.
Paladine geht sehr entschieden in das Relief, das Mosaik, die Skulptur. Im Vergleich zum Amerikaner ist der Weg des Europäers mit Geschichte überfrachtet. Stil hat wieder Hochkonjunktur: Das antike Rom, das mittelalterliche Paris werden beschworen, die Träume vom verschlossenen Garten und vom Jüngsten Gericht, vom Brotbacken und vom Einander-Halten gewinnen Gestalt.
Das Spiel mit der Formensprache historischer Kunst gerinnt Paladino eher zum Zitat – wie in der Affinität seines “Noa-Noa” zu Chagall – als daß es echten inneren Besitz signalisiert.
Die Jünglinge in “Allegoria l” sind mit goldenen Mosaiksteinchen auf weißem, blauem und grünem Marmor konturiert. In “Allegoria 2” sind Engel-Dämonen von einem spätgotischen Tympanon herabgestiegen, die die Finger ausgestreckt, die Beine verschränkt, in Farbe, auf Bronze. Paladinos neue Lieblingsgeste ist die der Hand, die in den Krug greift. Kraft ist da und Identität, sehr europäische Identität, allerdings entrückt und manieristisch, von einer verhaltenen…