Gegengedanken zur Biennale
Kunst und Wissenschaft
von Wolfgang Welsch
Die Biennale 1986 in Venedig hat zum Leitthema “Kunst und Wissenschaft”. Die diversen Ausstellungen sind umfangreich, weitläufig und ambitioniert. Die Kommentatoren vermerken jedoch einhellig, daß sie vor allem disparat, konfus und ertraglos sind. “Kunst und Wissenschaft” – ein großes Thema – ist dort verschenkt worden. Zu fragen ist, warum. In drei Abschnitten soll dem nachgegangen werden: 1. Welche historischen Prozesse haben zur modernen Konstellation von Kunst und Wissenschaft geführt? 2. Wo liegt gegenwärtig der Fokus dieser Problematik und wie steht die Biennale dazu? 3. Wo zeichnen sich – gegen die gestrige Optik der Biennale und die heutige der Kulturexperten – veritable Zukunftsperspektiven im Verhältnis von Kunst und Wissenschaft ab?
I. Zur Geschichte des abendländischen Verhältnisses von Kunst und Wissenschaft.
Betrachtet man die Geschichte des abendländischen Verhältnisses von Kunst und Wissenschaft (aus der hier natürlich eine Kurzgeschichte gemacht werden muß), so fällt auf, daß Kunst und Wissenschaft zunächst – in der Antike – keinen Gegensatz bildeten. Sie konnten das schon deshalb nicht, weil die Kunst durch eine bestimmte Art von Wissen definiert war. Sie galt als Fähigkeit, aufgrund richtiger Überlegungen etwas zu bewirken. Kunst ist ein Können, aber nicht ein genialisches oder irrationales, sondern ein höchst rationales Können. Ihr Unterschied von der Wissenschaft liegt nur darin, daß sie nicht Unveränderliches, sondern Veränderliches zum Gegenstand hat und dementsprechend nicht betrachtend (“theoretisch”), sondern herstellend (“poietisch”) orientiert ist. Musterfall einer Wissenschaft ist die Mathematik, Paradebeispiel einer Kunst die Medizin. Der griechische Ausdruck für Kunst lautet “techne”, was dann lateinisch…