Titel: Kunst und Philosophie
Titel: Kunst und Philosophie , 1989

Florian Rötzer
Kunst und Philosophie

ASPEKTE EINER KOMPLIZENHAFTEN AUSEINANDERSETZUNG

Philosophie und Poesie “vertragen sich beide ganz vortrefflich. Sogar ist die Poesie eine Stütze und Hülfe der Philosophie, eine Fundquelle von Beispielen, ein Erregungsmittel der Meditation, und ein Probierstein moralischer oder psychologischer Lehrsätze. Die Poesie verhält sich eigentlich zur Philosophie so, wie die Erfahrung sich zur Wissenschaft verhält.” (Arthur Schopenhauer)

Der einleitenden Schilderung der Lage der Kunst, die Adornos bezeichnenderweise fragmentarisch gebliebener und auch bereits nur als Konstellation von Perspektiven gedachter “Ästhetischer Theorie” vorangeht, hat nichts an Aktualität eingebüßt, nur müßte man hinzufügen, daß diese Verunsicherung gleichermaßen die Situation der Philosophie betrifft:

“Zur Selbstverständlichkeit wurde, daß nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist, weder in ihr noch in ihrem Verhältnis zum Ganzen, nicht einmal ihr Existenzrecht. Die Einbuße an reflexionlos und unproblematisch zu Tuendem wird nicht kompensiert durch die offene Unendlichkeit des möglich Gewordenen, der die Reflexion sich gegenübersieht. Erweiterung zeigt in vielen Dimensionen sich als Schrumpfung. Das Meer des nie Geahnten, auf das die revolutionären Kunstbewegungen um 1910 sich hinauswagten, hat nicht das verhießene abenteuerliche Glück beschieden. Statt dessen hat der damals ausgelöste Prozeß die Kategorien angefressen, in deren Namen er begonnen wurde. Mehr stets wurde in den Strudel des neu Tabuisierten hineingerissen; allerorten freuten die Künstler weniger sich des neuen gewonnenen Reiches der Freiheit, als daß sie sogleich wieder nach vorgeblicher, kaum je tragfähiger Ordnung trachteten.”

Im Versuch, die Irritation durch den Schwund stabiler Grundlagen zu überwinden, wenden Kunst und Philosophie sich gegenseitig zu. Kunst, schon immer ein Bereich, der durch Pluralität sich auszeichnet und an dem die Bildung von Regeln scheitert, ist nicht zuletzt deswegen Gegenstand heutigen Philosophierens, weil auch Philosophie in ihren Me-“1 thoden. Darstellungsweisen und Gegenstandsbereichen unscharf geworden ist, sich nicht einmal mehr auf die selbstverständliche Gegebenheit eines übergreifenden Vernunftsinns berufen kann. Wenn daher in den Beiträgen dieses Bandes immer wieder die Auflösung des Kunstbegriffs thematisiert wird, wie sie von Duchamp in Szene gesetzt wurde, dann bringt das nicht nur die Verlegenheit philosophischer Begrifflichkeit zum Ausdruck, sondern auch das Philosophischwerden der künstlerischen Produktion selber, die in Reflexionsprozesse sich verwickelt und nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit fragt. Schon auf dieser Ebene leuchtet die Verbindung zwischen Duchamp und Kant ein, die Thierry de Duve stiftet und auf die Theorie der Concept Art erweitert, wie sie Kosuth im Anschluß an Duchamp entwickelt. Die mit Bildern, Objekten und Inszenierungen gestellte Frage, was, wann, wo und mit welchen Mitteln Kunst sei, erlaubt zwar nicht mehr die von idealistischer Philosophie behauptete Affinität zur Kunst als Darstellung des Absoluten in der sinnlichen Erscheinung, zeigt aber die Verwandtschaft der Reflexion in der Ausgangssituation der Selbstvergewisserung, die von skeptischer Kritik und Ungewißheit bestimmt ist.

Kunst und Ästhetik als Modelle unverkürzter Erfahrung

´Ästhetik, die nicht in Perspektive auf Wahrheit sich bewegt, erschlafft vor ihrer Aufgabe; meist ist sie kulinarisch. Weil Kunstwerken das Moment von Wahrheit wesentlich ist, partizipieren sie an Erkenntnis und schaffen damit das legitime Verhältnis zu ihnen. Sie der Irrationalität zu überantworten, wäre Frevel unter dem Vorwand eines Höheren an ihrem Hohen. Die Erkenntnis der Kunstwerke folgt eigener erkennender Beschaffenheit: Sie sind die Weise von Erkenntnis, welche nicht Erkennen von Objekt ist. Solche Paradoxie ist auch die der künstlerischen Erfahrung. Ihr Medium ist die Selbstverständlichkeit des Unverständlichen.”

Adornos “Ästhetische Theorie” ist neben der Kunsttheorie Heideggers der letzte Versuch gewesen, an der Wahrheitsfähigkeit von Kunst mit allen daraus entstehenden Schwierigkeiten in einem

Gesamtkonzept von Philosophie festzuhalten. Daß Kunst und ästhetische Erfahrung, darin eingeschlossen ist immerauch sinnliche Wahrnehmung, eine eigenständige, nicht durch andere Verfahren und Medien der Wissenserzeugung zu ersetzende Erkenntnis erschließen, steht am Beginn der eigentlichen philosophischen Ästhetik, die im Zeitalter eines einseitig verengten Rationalitätsbegriffs entstanden ist. Weil auch Philosophie, wenn sie in Logik, Wissenschaftstheorie und Sprachanalyse aufgeht, jede spezifische Eigenart verlöre, sind seit der Neuzeit Kunst und Ästhetik zu Modellen unverkürzter Erfahrung geworden, die eine Alternative zur rationalen Konstruktion des Wissens und der ihr eigenen Naturbeherrschung zur Geltung bringen. In diesem Programm ist die an Kunstwerken aufscheinende Erfahrung allerdings nur Moment eines ästhetischen Denkens, das im Zuge der Rationalitätskri-tik die Sinneswahrnehmung mit ihrem Reichtum des Konkreten, den emotionalen Ausdruck des Subjekts und die freie Imagination wieder als fundamentale Formen der Erkenntnis für ein angemessenes und nicht-destruktives Verhalten in der natürlichen Umwelt und gegenüber der existentiellen Grundbefindlichkeit des Menschen hervorhebt. Wie dabei auch immer die Konstellation ausgeprägt und ge-wichtet wird, so ist die Verbindung zwischen Sinneswahrnehmung und Sinnwahmehmung meist deswegen naheliegend, weil in ihr die assoziative und metaphorische Erschließung des Wirklichen sich weit über den Bereich begrifflicher Erkenntnis erweitert. Angesichts fortschreitender Ruinierung der Erde und der dazu parallel laufenden Erzeugung einer synthetischen Welt ist dieser Rückgang auf die Natur und auf eine Kultur der Sinne, also auf das in der Aufklärungsphilosophie entstandene Ideal eines ästhetischen Lebens, heute mehr denn je einsichtig, wie das in diesem Band vor allem von Rudolf zur Lippe und Wolfgang Welsch intendiert wird, aber auch im Gespräch zwischen Silvia Breitwieser und Dietmar Kamper grundierend ist. Die Schonung der Dinge und Materialien, des Verkörperten und Leiblichen, der Pluralität des Individuellen gegenüber abstraktiver Verallgemeinerung ist seit langem eine Hauptquelle künstlerischer Produktion, die sich in der Herausstellung der Geste gegenüber der Konstruktion, des Materials oder der Realitätsfragmente gegenüber der Idee oder im Bezug auf vorrationale Bildwelten zeigt. Auch hier befindet sich Philosophie, sofern sie wissenschaftlicher Erkenntnis und dem aus ihr entstehendem Paradigma der Objektivität das Primat der Wirklichkeitserschließung bestreitet, mit der Kunst in einem Bündnis. Um hierfür nur ein Beispiel anzuführen, sei auf einen der führenden Vertreter des amerikanischen Pragmatis-mus hingewiesen, für den die ästhetische Erfahrung unversehrte Erfahrung ist, weil das Kunstwerk kein Mittel in einer Handlungskette darstellt, sondern die imaginative Grundstruktur der Wirklichkeitserschließung, aus der Bedeutung und Werte erst entstehen, durch den “Vollzug eines ähnlichen Aktes der Hervorbringung und Organisation” kenntlich macht:

“Wäre der Begriff ´rein´ in der philosophischen Literatur nicht so oft mißbraucht worden, wäre er nicht so oft verwendet worden, um nahezulegen, es gebe etwas Geringes, Unreines in der Natur der Erfahrung selbst, und um etwas jenseits der Erfahrung zu bezeichnen, dann könnten wir sagen, daß ästhetische Erfahrung reine Erfahrung sei. Denn es ist eine Erfahrung, die von den Kräften befreit ist, die ihre Entwicklung als Erfahrung behindern und verwirren; befreit von Faktoren, die eine Erfahrung, wie sie unmittelbar gegeben ist, etwas unterordnen, das jenseits ihrer liegt. Der Philosoph muß also die ästhetische Erfahrung aufsuchen, wenn er verstehen will, was Erfahrung ist… Es gibt keine Prüfung, die so sicher die Einseitigkeit einer Philosophie enthüllt, wie die ihrer Behandlung der Kunst und der ästhetischen Erfahrung. Die imaginative Anschauung ist die Kraft, die alle Bestandteile des Stoffs des Kunstwerks vereinigt und aus ihnen in all ihrer Verschiedenheit ein Ganzes macht. Gehen doch alle Elemente unseres Seins, die bei anderen Erfahrungen in speziellen Nuancierungen und nur teilweisen Verwirklichungen verstreut sind, ganz in der ästhetischen Erfahrung auf.” (John Dewey)

“Wo die Wirklichkeit selber zum
Ensemble von Fiktionen wird,
bleibt die ästhetische Kunst das
durch Wirklichkeit Unersetzliche
nur dann, wenn sie fortan nicht
mehr ´durch sondern ´gegen´
das Fiktive definiert: als Antifik-
tion.” (Odo Marquard)

Gleich ob Kunst und ästhetische Erfahrung den zivilisationskritisch diagnostizierten Erfahrungsverlust durch ihre Schule übergreifender Einheit oder polyphoner Pluralität kompensieren sollen, so sind beide philosophischen Positionen irritiert durch jene Strömungen modemer Kunst, die spielerisch, ironisch, destruktiv oder provokativ Wahrnehmung und Sinn(en)bewußtsein destabilisieren und so den Verlust eines integrativen Moments weiter vorantreiben oder ihn rückhaltlos deutlich machen. Deutlich hat diese – nachmoderne – Stimmung unlängst Peter Sloterdijk durch die Gegenübersetzung der Schlagworte “kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung” gemacht:

“Die kopernikanische Revolution bedeutet die Mobilmachung der Welt und der Weltbilder, bis an den Punkt, auf dem alles möglich wird. Man kann diesen Punkt nicht anders benennen als den des totalen Schwindels. Mit Schwindel blickt das moderne Vorstellen der Welt in sein eigenes Können… Wem vom modernen Vorstellen der Welt restlos schwindlig geworden ist, könnte mit einem Mal bemerken, daß in dem kopernikanischen Zeitgenossen der ewige Pto-lemäer noch am Leben ist; für diesen hat die Welt des alten Scheins nie aufgehört, eine Heimat zu sein – ein sinnliches Zuhause. Sie ist für ihn die langsamere Ordnung aus Synchronien zwischen Leib und Erde, zwischen Gesten und Wirklichkeiten. Der Pto-lemäer bewegt sich im zuverlässigen Betrug der alten Schemata, so wie sie uns über die Beschaffenheit der Welt vor der kopernikanischen Verwirbelung informiert hatten. Und wenn es für die Bewohner explosiver Systeme von Bedeutung ist, sich Reste leiblich-ästhetischer Orientierung zu bewahren, dann ist für sie eine ptolemäische Bewußtmachung an der Zeit. Den bewußten Rückgang aus dem kopernikanischen Vorstellungswirbel in die alt-neue Wahrnehmungseinstellung nenne ich die ´ptolemäische Abrüstung1… Wenn Kulturtheorie in der Postmoderne nur noch als kritische Theorie der Mobilmachung möglich ist, dann müssen die Erfolge der kopernikanischen Moderne aufrüstungsskeptisch neu gewertet werden. Für die ästhetische Theorie zeitigt das eine weitreichende Konsequenz: ihr Hauptbegriff kann nicht mehr Kreativität, sondern muß Wahrnehmung lauten. Dabei zerfällt der Mythos der Kreativität in die sensiblen Schalen und den brutalen Kern – den Wutkern des nihilistischen Angriffs, der in allen Mobilisierungsgewalten gärt. Erst nachdem der Kreativismus gestürzt ist, kann die ästhetische Theorie werden, was sie in der werkwütigen Moderne nicht sein durfte: Schule der Wahrnehmung, Lehre von der Abrüstung, Anleitung zum Allgemeinen Komponieren, Kunst des Umgangs mit Kunst, Technik der Entbrutalisierung von Technik, ästhetische Ökonomie, Logik der Schonung, Wissenschaft vom Unterlassen.”

Ein Leitmotiv für die verschlungenen Wege der Komplizenschaft zwischen Kunst und Philosophie stellen die Ausführungen Arthur Dantos dar. In seiner Kritik an der philosophischen Kritik der Kunst, die sich auch durch Zumutungen an sie verwirklicht, wird Kunst allerdings noch einmal als Mittel für ein neues Selbstverständnis der Philosophie benutzt. Gleichwohl ist die traditionelle Degradierung der Kunst wegen ihres Verhaftetsein am sinnlich Einzelnen und am Schein, der durch Mimesis entsteht, ein roter Faden, der sich durch die Philosophiegeschichte zieht und Unverständnis für die Entdeckungsgänge der Kunst in formalen und thematischen Bereichen zum Ausdruck bringt. Philosophie ist gebannt durch die Frage der Darstel-lung.die auch in der Kunst, sofern sie ernst genommen werden soll, zentral sei.

“Wenn Versuche., die Frage
´Was ist Kunst?´ zu beantworten
meist mit Enttäuschung und Verwirrung enden,
dann ist vielleicht -wie so oft – die Frage falsch
gestellt.”
(Nelson Goodman)

Zur Konzeption dieses Bandes

Das läßt sich noch am konstruktivistischen Denken Nelson Goodmans bemerken, der in seinem Ansatz zwar das Moment der Erzeugung primär setzt und daher die klassischen Oppositionspaare von Wahrheit und Schein, Tatsache und Fiktion oder Realität und Illusion suspendiert, die für die Beurteilung der Kunst grundlegend waren, aber mit der Kategorie der “Exemplifikation” doch nur unter anderem Namen das Moment der Darstellung für die Kunsttheorie weiterführt. In anderer Hinsicht aber, darin ist Danto zuzustimmen, ist der von der Kunst produzierte Schein geradezu konstitutiv für die nicht-pragmatische und den “gesunden Menschenverstand” übersteigende Tradition der Philosophie geworden, die aus der ontologi-schen Verwechslung von Wahrheit und Fiktion ihren Ausgang nahm. Das ist deutlich an Platons Philosophie abzulesen, der von einem “alten Streit zwischen Philosophie und Dichtung” spricht, allerdings aber auch in seiner Kritik an der Kunstpraxis fortwährend mehr Philosophie und Dichtung einander annäherte. Sieht man also die Geschichte des Konflikts unter etwas längerer Perspektive, dann ist die gegenwärtige Diagnose von Jürgen Habermas, daß heute im Zeichen der Aufkündigung der Moderne sich unstatthafte Vermischungen von Kunst und Philosophie vordrängen, keine Frage irgendwelcher Regressionen, sondern eine, die den Ursprung der Philosophie selbst betrifft. Schließlich war auch die Aufklärung jene Epoche, die im Idealbild des ästhetischen Menschen die Utopie der Versöhnung von heterogenen Kräften entwickelte. Zweifellos ist für die Philosophie immer die Dekonstruktion von Fiktionen im Wissen um die Produktion von Schein Ausgang ihrer Reflexionsbewegung gewesen. Kunst tritt im philosophischen Diskurs allerdings meist in einem doppelten Register auf: einmal in dem der Frage nach Wahrheit, die sich vom Schein als ihrer Voraussetzung abhebt, und einmal als Frage nach dem Schönen oder anderer Kriterien, die den Grund der eigentümlichen Faszination und ihre Bedeutung für das menschliche Leben zu eruieren sucht. Beides geht meist ineinander, aber dort, wo diese Konstellation auseinandergebrochen wird, tritt in aller Regel eine Blindheit gegenüber dem ästhetischen Phänomen ein.

Wie es in dem Gespräch mit den Bücherverlegern Heide Paris und Peter Gente vom Merve-Verlag anklingt, ist auch die Tätigkeit des Herausgebers eine “Kunst”, die Kriterien der Auswahl erfordert. Nun ist schon allein einsichtig, daß man auf vielerlei Kontingenzen und Unvorhersehbarkeiten trifft, wenn man einen Sammelband zusammenstellt. Erklären sich die angesprochenen Autoren damit einverstanden, einen Beitrag zu liefern? Folgen sie dem Geheiß, eine bestimmte Fragestellung zu untersuchen? Ist die Auswahl repräsentativ? Was müßte alles angesprochen werden? Kommen die Beiträge rechtzeitig genug, um wenigstens noch in der Einleitung didaktisch und verschönernd Stimmigkeit in der Pluralität der Positionen erzeugen zu können? Soll man eine Revue der Geschichte veranstalten -mit entsprechenden Verkürzungen und der mangelnden Aktualität – oder sich ganz auf die Gegenwart konzentrieren – mit ebensolchen Verkürzungen? Was kommt überhaupt als Philosophie in Betracht? Das Chaos und die Unübersichtlichkeit sind also vorprogrammiert, das ästhetische Ideal der Einheit in der Mannigfaltigkeit nur mit einem Gewaltstreich herzustellen. Man hätte zweifellos eine ganz bestimmte philosophische Perspektive oder ein Konglomerat von Künstlern, die entweder von philosophischen Richtungen beeinflußt waren oder selber in ihrer Arbeit philosophisch (?) vorgehen, bevorzugen können, doch das wollte ich nicht. So blieb die Konzeption dieses Heftes bei dem beabsichtigten Generalthema “Kunst und Philosophie” – mit dem Schwerpunkt auf der Gegenwart und auf der philosophischen Kunsttheorie und Ästhetik -, realisiert durch persönliche Selektionskriterien und durch die Zufälligkeiten der Absagen sowie der Themen der Beiträge. Daran – auch das ist ein gewisser Ethos – soll nichts beschönigt werden, obgleich ich der Überzeugung bin, daß hier prismatisch dennoch wichtige Tendenzen philosophischen Denkens, soweit sie in Affinität zu Kunst oder Ästhetik stehen, vorgestellt werden. Weil aber Rückblenden auf traditionelle Positionen in den Beiträgen nur im Sinne des Anschlusses oder der Abstoßung zu Wort kommen, soll die Einleitung das zumindest soweit andeutungsweise ausgleichen, indem sie wichtige Theorien der neuzeitlichen philosophischen Kunsttheorie vorstellt und durch Zitate in ihrem “Geist” auch anschaulich macht. Nietzsche als Endpunkt und als Einsatz der Beiträge schien mir deswegen ein akzeptabler Schnitt zu sein, weil in seinem Denken die Irritationen und Paradoxien kulminieren, die auch die Philosophie des 20. Jahrhunderts weiterhin bestimmen. Wie Bernhard Lypp in seiner grundlegenden Deutung von Nietzsches früher Schrift über “Die Geburt der Tragödie” ausführt, geht es dabei um die Begründung des ästhetischen Paradigmas aus der Verbindung von Leben und Kunst, die auf dem Hintergrund einer “Gesamtentfesselung der symbolischen Kräfte des Menschen” problematisiert wird und hinüberleitet zur Idee der “Theatralisierung der Künste” – ein Projekt, das gerade heute mit der multimedialen Inszenierung von Ereignissen nichts an Aktualität eingebüßt hat.