Kunst-Streik. Konstruktionen der Obstruktion
von Judith Elisabeth Weiss
Die Motive der Kunstdissidenten, der Verweigerer von Anpassung und Einpassung, der Gegner eines Gezerres an der Kunst und ihrer Zurechtbiegung in den kleinen Denkstuben, sind reichhaltig. Nicht konform gehen, nicht mitlaufen, nicht mitmachen und sich stattdessen widersetzen und umdenken bezeugt „jene Tugenden, in denen sich die Kulturen […] erkannt, verstanden und auf die ihre Weisungen des Wegs nicht nur als äußerste Menschenmöglichkeiten, sondern als lebensnotwendig aufmerksam gemacht haben“.1 Die Erkenntnis jedoch, dass Verweigerungsästhetik dem verhaftet bleibt, dem sie sich zu entziehen versucht, dass sie über die Dialektik des Innen und Außen nicht ohne weiteres hinauszugehen vermag, dass Verweigerung mithin letztlich in eine Praxis des Einwilligens und des Einbezogenseins mündet, hat drastischere Formen des Entzugs auf den Plan gerufen: den Kunst-Streik. Streik – dabei denken wir an kollektive Arbeitsniederlegungen, an kämpferischen Durchsetzungswillen zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen und an Forderungen für bessere Entlohnung. Der Aufruf zum Streik siedelt den Künstler, wie in zahlreichen Stellungnahmen von Protestierern zum Ausdruck kommt, in der gesellschaftlichen Sphäre des Arbeiters, des „Kunst-Arbeiters“ an. Guy Debords Mauergraffiti an der rue de Seine Ne travaillez jamais aus dem Jahr 1953 und seine situationistischen Überzeugungen klingen in vielen der Attacken auf das Kunstsystem explizit nach. Ebenso neomarxistische Konzepte, die bis heute herangezogen werden, um den Künstler in den Kontext des Prekariats zu stellen: Der Kunst-Arbeiter wird zur Figur des Gefährdeten, des Bedrängten, des Ausgelieferten.
Eine Liaison zwischen Künstler und Arbeiter hatte bereits existiert, bevor noch der Streik selbst zum Instrument und Kampfmittel der Künstler wurde….