Christian Saehrendt
Kunst kommt von Kritisieren
Selbstversuch als Kritisierter an der Documenta 13 bei Lori Waxman
Ansatzweise wird ja bereits in den Kunsthochschulen geübt, Kritik und Spott zu verwinden, bei der berüchtigten «Korrektur» im großen Kreis, wo Professor, Kommilitonen und Gasthörer über den Mitstudenten herfallen. Dort zeigt sich bereits, wer später als professioneller Künstler das Stahlbad der Kritik zu ertragen imstande ist. Die an Spektakel, Travestien und Therapie-Parodien ohnehin reiche Documenta 13 bietet dieses Erlebnis jetzt für jedermann. Unter Hunderten von Bewerbern sind 250 Künstler und Künstlerinnen dafür ausgewählt worden. Die US-amerikanische Kunstkritikerin Lori Waxman sitzt an 35 Tagen in einer eigens für sie gezimmerten Hütte im Kasseler Auepark und kritisiert dort im Schnelldurchlauf alles, was ihr als Kunstwerk dargereicht wird.
Die Kritik gibt’s als Papier in die Hand
Der Autor dieser Zeilen, selbst Kunstkritiker und Kunsthistoriker, berichtet hier von seinem Selbstversuch als Kritisierter und gibt zugleich den Kritiker der Kritikerin. Zu diesem Zweck hat er Frau Waxman ein neoexpressionistisches Gemälde aus seinen Jugendzeiten (anno 1987) vorgestellt, als er, geblendet von juvenilem Größenwahn, noch davon träumte, selbst ein berühmter Künstler zu werden. Zunächst nimmt die Kritikerin das Gemälde kurz, aber konzentriert in Augenschein. Dann googelt sie den Begriff «Neoexpressionismus» und ruft sich einige typische Künstler dieser Richtung in Erinnerung. Es fallen die Namen Donald Baechler und Francesco Clemente, was dem Autor nicht gerade schmeichelt.
Nun denn: Sie beginnt zu schreiben, und der Kritisierte, aber auch Freunde, Angehörige, neugierige Documenta-Besucher und Passanten können auf einem Monitor verfolgen, wie die Kritik Form annimmt. Hier ist der Punkt…