1. Folge:
Gerd Winkler
KUNST IN FRANKFURT
Das Beste an Frankfurt ist, daß man sehr schnell daran vorbeifahren kann.
Karl Georg Pfahler
An einem Samstag Vormittag beschließen sieben erwachsene Menschen, nicht ihre Autos zu waschen oder länger zu schlafen. Sie steigen achtzig Treppen hoch, gelangen in eine Mansarde und besichtigen dort, was an den Wänden hängt; das kann natürlich nichts anderes als Kunst sein. Es handelt sich um recht seriöse Herren. Einer ist sogar der Oberamtmann Lotz vom städtischen Kulturamt. Ehe er vor zwei Jahren zu der für ihn neuen Disziplin Kunst wechselte, verwaltete er den Palmengarten. Man sieht: wie dicht Natur und Kunst manchmal beieinander liegen! Die Herren bilden eine Jury. Diese hat die Aufgabe, erst zu denken, dann zu diskutieren und endlich das zu benennen, was die Stadt Frankfurt am Main – bekannt als Metropole des Gewerbefleißes, des Handels und der Banken – anzukaufen gedenkt. Weil die Jury während dieser anstrengenden Vorgänge allein gelassen werden möchte, muß der Mansardenbewohner nach draußen gehen. Er ist selber Künstler, heißt Peter Moosmann’ und hat zu seinen Arbeiten auch die von vier Kollegen gehängt: Thomas Bayerle, Rolf Kissel, Siegfried Reich an der Stolpe und Benno Walldorf, der im benachbarten Bad Homburg eine Fast-Millionenvilla sein eigen nennt. Die Jury erwirbt ein Blatt Kunst für zweihundertfünfzig Mark und steigt die achtzig Treppen hinab.
Von derart großmütigen Maßnahmen ist der Schritt nicht mehr weit zur Gründung eines örtlichen Kunstcaritasvereins. Während das (schlecht besuchte) Theater mit 30 Millionen Mark pro Jahr subventioniert wird, gibt es für die Neue Kunst so gut wie kein Geld.
Wegweisendes, Mutiges, Ungesichertes, Avantgarde, Kunst von jetzt und morgen gar – das alles kann in dieser Stadt nicht über die Runden kommen, weil die Voraussetzungen dazu in den letzten zehn Jahren geradezu mit systematischer Arroganz zunichte gemacht wurden; und zwar von jenen einflußreichen konservativen Kräften, denen allenfalls ein Nolde, Nay, Beckmann oder Chagall ins Weltbild zu passen scheinen. Das heißt: Der Kunstverein der Ära Radtke und die Städtische Galerie (samt Städel) der Epoche Holzinger hinterließen ein erzreaktionäres Kunstklima.
Für den neuen, dynamischen Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann dürfte es schwer sein, die verhärteten Fronten aufzuweichen. Um Avantgarde durchzusetzen, um die Szene zu internationalisieren, bedarf es Partnerschaften. Die meisten haben resigniert. Sie verhalten sich passiv oder kehren der Stadt den Rücken. Schultze und Ursula zogen beizeiten nach Köln. Adam Seide kam hier nicht zurecht. Paul Maenz, dieser so wichtige Anreger neuer Konzeptionen und Konsequenzen, ist abgewandert. Höke und Jost Stenger verließen fluchtartig die Stadt. Sydow, ehedem ein hochprofilierter Galerist für surrealistische und phantastische Malerei, macht nur noch Kunsthandel. Appel & Fertsch schlössen. Die Domgalerie gab auf. Lüpke stellte den Ausstellungsbetrieb vorübergehend ein.
Bussmanns Start im Kunstverein mit der Ausstellung ‘Kunst und Politik’ war nicht nur deutliche Markierung für Künftiges; Querelen im Vorstand stellten sich ein. Aber: was nützt die schönste Geroli-Schau, wenn sie nur von 1300 Leuten besucht wird! Immerhin gelingt es Bussmann, zeitweise eine anregende Vernissage-Atmosphäre zu erzeugen. Die Knüller freilich kommen meistens aus zweiter Hand und sind Übernahmen. Wenigstens einmal im Jahr sollte von Frankfurt aus eine Austeilung den Weg nach Hannover, Amsterdam gar oder Basel machen!
Zu keiner Zeit hat es in dieser Stadt an Ansätzen gemangelt, die zu einem Zentrum moderner Kunst hätten führen können – etwa nach dem Beispiel Krefeld. Daß die Initiativen dazu von Privatleuten ausgingen, liegt in der Natur der Sache und ist in anderen Städten sicherlich ähnlich. Aber: die sogenannte öffentliche Hand hätte darauf eingehen müssen. Zu einer Zeit, als noch niemald recht daran glauben mochte (nämlich zwischen 1960 und 63), wurden in Frankfurt konsequent wie in keiner anderen Stadt sonst in 30 Ausstellungen und ‘Dokumentationen’ die nach-tachistischen Verhaltensweisen (Monochromie, Anti-Peinture, Lichtkunst, Kinetik, serielle Kunst, Zero) vorgeführt. Für rund 100 000 Mark hätte Frankfurt eine lückenlose Bestandaufnahme der sogenannten Neuen Tendenzen im Jahre 1963 allein in der legendär gewordenen Ausstellung ‘Europäische Avantgarde’, veranstaltet von der ‘Galerie d’, erwerben können: Aubertin, Bartels, Pol Bury, Castellani, Dorazio, Fontana, Getulio Alviani, Girke, Goepfert, Graubner, Holweck, Yves Klein, Harry Kramer, Adolf Luther, Mack, Manzoni, Megert, Oehm, Piene, Rainer, Diter Rot, Salentin, Schoonhoven, Soto, Tinguely, Uecker, Vasarely, Verheyen, de Vries.
Solche und ähnliche Chancen wurden leichtfertig vertan. Die Initiativen der Galerie ‘Patio’ (Aktionen, Happening, Fluxus) gründeten sich auf das Modell einer Einrichtung, die den Künstlern gehörte. Kaum jemand hat die Wichtigkeit der dort geleisteten Arbeit erkannt, geschweige denn honoriert.
Segen und Plage zugleich sind heutzutage wohl für jede Stadt die Berufsverbände der bildenden Künstler. In Frankfurt zahlen 560 Damen und Herren ihre Beiträge. Somit sind sie Verbands-Künstler. Bei diesen Leuten blüht schon die Kunst! Da ist Frankfurt, die Stadt auch der Dirnen, Zuhälter und Ganoven, noch schön! Da führen ein Maler und der Kulturpfleger Heinrich Heym vor 500 Besuchern der ‘Freunde Frankfurts’ ein zeitgemäßes Künstlergespräch. Das wird in dem Mitteilungsorgan der Kulturvereine wie folgt zitiert: Der Maler Ferry Ahrle: ‘Das Zeichnen am Römer war in den letzten Jahren Glücksache. Entweder stand ein Bauzaun davor oder ein Kran schüttete einem Steine auf den Kopf. Darauf Kulturpfleger Heym: ‘Die Richtigen wurden leider nicht getroffen’. Die Besucher sind entzückt, spenden Beifall, bedanken sich für den Lichtbildervortrag mit Ahrle-Kunst zum Thema ‘Wo Frankfurt noch schön ist!’ Der Chronist ist außer sich ob so gekonnter Kunst: ‘Da tauchen sie auf, die Plätze, Häuser, Winkel, die Parkeckchen und Straßenzeilen, in denen abseits des schlimmen Verkehrs Frankfurt noch eine menschliche Atmosphäre behalten hat’.
lSolcherart ist der Kunstgeist des gehobenen Bürgertums. Und in diesen Kreisen ist Herr Ahrle der Künstlerfürst. Dieser Mann sitzt sogar in einer Jury, wenn die Stadtsparkasse einen Kunstpreis von 5000 Mark an einen Provinzkünstler vergibt. Ja, abseits des schlimmen Verkehrs gedeiht in Frankfurt die echte, wahre, schöne Kunst. Diese ist oft in der schönsten Privatgalerie der Stadt zu sehen: Mitten in der Stadt, gleich neben dem ‘Ball der einsamen Herzen’, wo die Damen die Wahl haben, liegt die ‘Rahmhof-Galerie’ – ein wahres Schmuckstück! Ein Industrieller läßt sich dort den Ausstellungsbetrieb bestimmt 100 000 Mark kosten. Dort residiert die liebe Frau Mumm von Schwarzenstein, CDU-aktiv, und stellt Kunst aus dem dritten Glied aus: brav, fromm, gut gemeint und somit das Gegenteil von Kunst. Dafür aber ist dort ein guter Teil der feinsinnigen Frankfurter Gesellschaft anzutreffen. Wie sehr wünschte man sich, daß ein Beuys käme und die teppichbelegten Räume von all dem Schund sauber fegte!
Es grenzt an ein kleines Wunder, daß die paar Frankfurter Künstler, die wirklich etwas anzubieten haben, nicht auf die Barrikaden springen und dieses Pseudogetue anprangern. Wer sich etwa bei einer Kowallek-Vernissage in der Mendelssohnstrasse umschaut, findet immer nur dieselben Gesichter und Künstler: Franz Mon ist da, Hans Glauber, Rolf Kissel, Hermann Goepfert, Bayerle, die Nele, Bernhard Jäger. Die große Zahl der organisierten Künstler und Weihnachtsausstellungsbeschicker bleibt fort. Die Artisten, so scheint es, wollen und können sich nicht solidarisieren. Die Professorenkünstler Schreiter und Jochims kapseln sich total ab. Die Frankfurter Mittelstandskünstler sind an den Erscheinungen im Vorfeld der Kunst überhaupt nicht interessiert und jammern vergangenen Zeiten nach.
Ja, das waren also wirklich noch Zeiten, so zwischen 1964 und 67. Da fand das große Kunst-am-Bau- Schaffen statt. Mosaiken, Säulen- und Deckengestaltungen, Wandfriese, Symbole in Eisen und Bronze, Tafeln, Treppenhäuser und Eingangsbereiche an Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden – nichts blieb verschont. Nicht weniger als 2,6 Millionen Mark wurden verplant! Der Rekordgeldeinstreicher war Herr Professor Heiliger mit 206 000 DM, mit gebührendem Abstand gefolgt von Eberhard Fiebig: 156 000 DM Umsatz. Ein lokaler Professor namens Lammeyer berechnete für eine Wandgestaltung 120 000 DM. Ein Mensch namens König aus Klingenberg strich 100 000 DM ein. Altmeister Wimmer buchte 130 000 DM. Einen Zadkine ließ sich die Stadt immerhin 125000 DM kosten. Wotruba kassierte 115 000 DM ab. Und eine beträchtliche Schar lokaler Kunsterzeuger schwammen im Geldschatten mit.
Solches konnte sich nur zutragen, weil auf dem Hochbauamt ein Mann saß, der nach eigenem Dafürhalten tun und lassen konnte, was er für richtig hielt – natürlich unter Berufung auf die 2-Prozent-Summe für Kunst am Bau. Magistrat und Öffentlichkeit haben erst hinterher mitgekriegt, was da so im Verborgenen gemuschelt und gespielt worden war. Und die Summen ans Licht gezerrt hat erst der kunstbesessene CDU-Magistratsmann Korenke, der den Benno Walldorf für Frankfurts größten Künstler hält, und sich heute noch darüber aufregt, daß Hajek für Frankfurt seine erste große Farbwegkonzeption durchsetzen konnte. Konrenke und andere Kunstbewahrer sind es auch, die Goepferts Brunnenanlage am Eschenheimer Turm zum Teufel wünschen.
Als jüngst der Frankfurter Flughafen mit einer Summe von 900 Millionen DM neugestaltet wurde, blieben bescheidene 70 000 DM für Kunst übrig. Diese teilten sich Heinz Kreuz und Peter Moosmann. Bei der neuen Hauptwache, Frankfurter Zentralpunkt, sollten drei Kunstwerke realisiert werden. Zwölf Künstler – darunter Mack, Kricke, Uecker, Goepfert, der Franzose Delahaye – waren aufgefordert worden, Entwürfe einzureichen. Ergebnis: nichts wird realisiert, kein Geld. Da wurden wieder einmal 130 000 DM an öffentlichen Geldern verschleudert. Zur Zeit sind die Auftragshähne dicht. Es besteht auch kaum Aussicht, daß sie je wieder aufgedreht werden dürften. Und wenn dies einmal geschehen sollte, dann sollte Hilmar Hoffmann vorab eine Untersuchung anfertigen lassen: warum, wieso, weshalb und zu welchem Ende ein Bronzegebilde von Herrn Heiliger nicht nur den Preis wert ist, sondern auch: weshalb es, zum Beispiel, junge Menschen in einer Schule besser und stärker verändern kann als andere Aktivitäten im Bereich der Kunst.
Die Neue Kunst ist in Frankfurt auf eine Handvoll Privatgalerien angewiesen. Die schwerste Bürde trägt bestimmt Rochus Kowallek, weil er ein sagenhaftes Image hat. Seitdem sich die Partnerschaft mit Frau Lichter aufgelöst hat, scheint der Wurm am Kowallekschen Unternehmen zu nagen. Mit anderen Worten: Die Kasse muß klingeln, nicht das Telefon. Ursula Lichter indessen hat für rund 100 000 Mark Neuen Realismus eingekauft: Richtung Thelen und de Gestlo. Na also, sagen die Eingeweihten, da liebt jemand wenigstens noch die Kunst! Das Kowalleksche Rendezvous mit der Russenkunst bescherte ihm ein Defizit von 7500 DM. Trotzdem will er weiter am Sowjetball bleiben, außerdem zwei Neuentdeckungen präsentieren, Hofschen, Graubner und Verheyen zeigen.
Lüpke, dessen Grafik-Edition inzwischen überregionale Bedeutung hat, hat diese Arbeit an den jungen Bernd Slutzky abgegeben. Er selber will im Galeriebetrieb nach Möglichkeiten eine Neuprofilierung suchen. Frau Löhr hat in der City eine zweite Galerie aufgebaut. Dort macht Sabine Freund ein recht progressives Programm: Grafik der Galerie Friedrich, Künstler aus dem Kreis um Conny Fischer aus Düsseldorf. Jüngst ist auch dort ein Wunder geschehen: Nach Jahren der Abstinenz hat das Kupferstichkabinett im Städel eine Radierung von Baselitz zum Vorzugspreis von 250 DM angekauft. Und: nur ein einziger Mann ist erschienen, um das zu entscheiden! Meyer-Ellinger hat innerhalb eines Jahres Beachtliches zustande gebracht – er mischt geschickt Progressives mit der Neuen Sachlichkeit etwa, stellt Bayerle aus; begeistert sich offenbar für die Wiener Secession (1897 -1904 ) ebenso stark wie für Max Ernst. Und damit sind wir praktisch schon am Ende. Vergessen haben wir beinahe Frau Ostheimer, die sich nur mit Naiver Kunst beschäftigt. Eine merkwürdige Erscheinung ist: Ausstellungen in Möbelhäusern (hier Interior) haben kaum Wirkung und Ausstrahlung – selbst wenn das Programm gut ist.
Kunst in Frankfurt ist, wenn es nach Wochen in der FAZ steht. Kunst in Frankfurt ist, wenn das Wichtigste versäumt wird. Kunst in Frankfurt ist, wenn der einzige Mann, der von amtswegen etwas zur Förderung der neuen Kunst getan hat, auf das Friedhofsamt versetzt wird. Kunst in Frankfurt ist, wenn Herr Abs mitmischt. Die anstehende Neubesetzung des Direktorenpostens am Städel wird über das Kunstschicksal dieser Stadt entscheiden. Wie man hört, soll Klaus Gallwitz dem Berufungsausschuß ‘zu wenig wissenschaftlich’ und ein ‘zu starker Praktiker’ sein. Wer, um Gottes Willen, macht aus dieser Stadt, die sich wirklich etwas auf ihre Liberalität zugute halten darf, eine Kunststadt?