Margarethe Jochimsen
Kunst als soziale Strategie
Keine erkennbare soziale Funktion
Als die Fotografie Mitte des letzten Jahrhunderts der bildenden Kunst sukzessive das Abbilden und Darstellen des Menschen und seiner Umwelt streitig machte, stellte sie – zumindest tendenziell – auch ihre wichtige gesellschaftliche Funktion, Welt zu deuten und zu kritisieren, infrage.
Irritation und Panik im Bereich der Malerei waren damals so groß, daß eine ganze Reihe prominenter Maler – unter ihnen auch Ingres – von der französischen Regierung allen Ernstes verlangten, dieses neu entwickelte visuelle Medium zu verbieten! Doch diese Forderung wider die Zeit stieß auf taube Ohren. Technischer Fortschritt läßt sich nicht aufhalten.
Was sich in der bildenden Kunst der folgenden Jahre abzeichnete, war der Prozess einer allmählichen Umorientierung in Richtung einer detaillierten Analyse der bildnerischen Mittel, wobei allerdings die Frage, inwieweit die Einführung des Mediums Fotografie tatsächlich auslösendes Moment dieser Entwicklung gewesen ist, nie ganz zu klären sein wird.
Fest steht, daß sich der bildende Künstler der Darstellung und Interpretation gesellschaftlicher Vorgänge und Situationen mehr und mehr entzog, um sich ganz auf bildnerische Fragen zu konzentrieren, d.h. sein bildnerisches Instrumentarium selbst zu thematisieren. Er verschanzte sich hinter der Baudelaireschen Parole des l’art pour l’art.
Träume von einer alle Arten von Medien vereinenden, einer ,monumentalen’ Kunst (Kandinsky) oder der Aktivierung des Publikums durch künstlerisches Handeln (Cabaret Voltaire), hinter denen sich ein Verlangen nach größerer gesellschaftlicher Einwirkung verbarg, flackerten zwar auf, wenngleich zu sporadisch, zu selten und – aus heutiger Sicht – zu früh, um gegen die zunehmende Abkapselung und Intellektualisierung der Kunst angehen zu können.
Die bis…