Jürgen Raap
Kunst als Diplomatengepäck
In Moskau werden derzeit Nägel mit Köpfen gemacht. Kaum haben wir die Meldung verdaut, daß es demnächst auch in der sowjetischen Hauptstadt eine Filiale des “Museum Ludwig” geben soll, da werden wir mit einer Günther-Uecker-Retrospektive im “Künstlerhaus am Krimwall” überrascht. Bundeskanzler Kohl kommt diese kulturpolitische Offensive sicherlich sehr gelegen, denn spektakuläre politische Ergebnisse sind bei seinem Gorbatschow-Besuch im Herbst kaum zu erwarten. Kulturaustausch als Gradmesser der bilateralen Beziehungen, als Indiz für eine Neuauflage der “Entspannungspolitik”? Daß die Kunst im äußerst empfindsamen diplomatischen Gewebe einen solch hohen Stellenwert einnehmen könnte, wäre vor zehn Jahren noch sicherlich undenkbar gewesen, da ging es noch um ganz andere Dinge. Da wäre auch die Tatsache, daß der Bonner Stadtdirektor eine Ausstellung über rumänische Kultur aus Protest gegen die Agrar-Reform Ceaucescus absagt, kaum als ernst zu nehmendes Signal gewertet worden, das der deutschstämmigen Bevölkerung in den betroffenen Dörfern den Rücken stärken soll.
Hatte der Kunstbetrieb von politischer Seite aus jahrzehntelang nur Geringschätzung erfahren, war er allenfalls als dekoratives Beiwerk willkommen (als z. B. Daniel Spoerri die Tisch-Sets für das Büffet beim Kanzlerfest gestalten durfte), so schlägt dies nun genau ins Gegenteil um. Gewiß ist dem Bundespräsidenten zuzustimmen, wenn er im Vorwort zum Uecker-Katalog den Kunstaustausch als Vorreiter der internationalen Verständigung und der Grenzöffnung lobpreist. Gleichzeitig aber muß man sich fragen, ob die Kunst nicht generell durch derlei politische Inanspruchnahme überfordert wird. Womit nicht einer “unpolitischen Kunst” das Wort geredet werden soll. Denn wo es schon aus CSU-Kreisen massive Anwürfe gegen die angeblich zu…