Seit dem Karikaturen-Streit sind die Empfindlichkeiten gewachsen, sobald auch nur der geringste Verdacht einer Zensurmaßnahme aufkommt. Ausgerechnet im Bonner Gebäude des Bundesbildungsministeriums wurde eine Fotoarbeit der Düsseldorfer Künstlerin Claudia Rogge durch ein anderes Bild mit dem Motiv eines „röhrenden Hirschen“ ersetzt. Das löste intern lebhafte Diskussionen unter den Bediensteten aus. Rogges Fotoarbeit zeigt einen hyperästhetisch stilisierten multiplizierten weiblichen Halbakt und hing als Leihgabe des Staatsministers für Kultur seit Herbst 2009 im Eingangsbereich des Bildungsministeriums. Schon bald beschwerten sich „mehrere Mitarbeiterinnen“ bei der Gleichstellungsbeauftragten, sie fühlten sich beim Anblick des Bildes „als Frauen herabgewürdigt“. Der Unterabteilungsleiter der Zentralabteilung und Personalverantwortliche Thomas Sondermann sah sich zum Handeln veranlasst: „In einer Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem Schutz der Mitarbeiterinnen habe ich mich für letzteres entschieden“. Sondermann begründet seine Entscheidung mit dem Einwand, ein Kunstmuseum sei ein Freiraum auch für eine vom Publikum als provozierend empfundene Kunst, aber in den Räumen eines Ministeriums sei es „nicht unsere Hauptaufgabe, mit Kunst umzugehen“. Er habe daher auf die Befindlichkeiten der Mitarbeiterinnen Rücksicht nehmen müssen und sei sich der Brisanz der Entscheidung sehr wohl bewusst: „Natürlich schließt sich dann sofort die Frage an: Beginnen wir damit eine neue Bilderstürmerei?“ Als „kleine Eulenspiegelei“ (Thomas Sondermann) hängt als Ersatz-Bild nun eine „lizenzfreie Abbildung“ des „röhrenden Hirschen“ aus dem Internet im Foyer des Ministeriums. Als Kommentar wäre hinzuzufügen, dass die Grundrechte des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland allerdings überall Geltung haben, und nicht etwa nur an bestimmten Orten und an anderen nicht. Im „Karikaturenstreit“ erklärte seinerzeit die frühere Verfassungsrichterin…
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· S. 12 - 13
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